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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
tal in Migrantenfamilien eine größere Bedeutung hat als bei einheimischen
Familien, da es für sie zumeist die einzige Strategie für einen Bildungsauf-
stieg der Kinder darstellt:
„Dementsprechend ist festzustellen, dass Bildungsinvestitionen bei Mig-
ranteneltern wegen der ausgeprägten Aufstiegsorientierung auf außer-
ordentlich großes Interesse stoßen.“ (Nauck et al. 1997, 285)
Raiser (2007, 28) betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit einer
bestimmten Grundhaltung in Migrantenfamilien: Aufgrund ihrer geringen
Kapitalausstattung sind sie eher bereit, für einen Bildungsaufstieg Opfer
zu bringen.
Zugleich müssen neben der innerfamiliären Vermittlung von bildungs-
relevantem Kapital „außerfamiliäre Ressourcentransformationen und
individuelle Optionsräume“ (Niehaus 2008, 143–144) berücksichtigt wer-
den, die Kindern mit Migrationshintergrund trotz einer bildungsfernen
Familie einen Bildungsaufstieg ermöglichen. So kritisiert Raiser (2007, 31),
dass in Bourdieus Konzept des kulturellen Kapitals die Kinder als passi-
ve TrägerInnen von familiär vermitteltem Kapital auftreten und dadurch
die Dynamik des aktiven, individuellen Einsatzes von kulturellem Kapital
übersehen wird. Raiser formuliert die traditionelle Bourdieu’sche Sicht auf
kulturelles Kapital und Bildungserfolg wie folgt:
„Kinder aus Bildungseliten sind einerseits qua Besitz an kulturellem
Kapital zum Erfolg verdammt, während andererseits Bildungsmobilität
von Kindern aus bildungsfernen Schichten faktisch unmöglich oder aber
nur als Zufall oder Ergebnis ungewöhnlicher individueller Anstrengun-
gen erklärbar ist.“ (Raiser 2007, 32)
Raiser plädiert für eine genaue Betrachtung der spezifischen Ressourcen,
die es Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus einem bil-
dungsfernen Elternhaus ermöglichen, trotz der Hindernisse auf dem Bil-
dungsweg einen Aufstieg zu schaffen. Mit Bourdieu kann dieser Bildungs-
aufstieg der Jugendlichen mit Migrationshintergrund – unabhängig vom
im Elternhaus vermittelten Kapital – als Resultat einer Habitustransfor-
mation betrachtet werden.
Die Dynamik des aktiven, individuellen Einsatzes
von kulturellem Kapital darf nicht übersehen werden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven