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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
Erfahrungen, die im Lauf der biographischen Entwicklung zu be-
wältigen sind und zur Ausbildung individueller Handlungsstrate-
gien im Sinn eigener Bildungsaspirationen führen. Unter den El-
tern bilden vor allem die Mütter hohe Bildungsansprüche für ihre
Töchter aus, weshalb die Absolvierung einer höheren Bildung zum
Ideal erhoben wird.11
̟ Typ IV (eigenverantwortliche Bildungsplanung) ist gekennzeich-
net durch einen hohen Grad an Selbstständigkeit und eigenver-
antwortlichem Handeln, sodass inner- wie außerfamiliären Res-
sourcen eine geringe Bedeutung zukommt. Idealistische Bildungs-
aspirationen der Familie stellen dagegen einen wichtigen Faktor
dar. Die Handlungsstrategien dieses Typs sind vorrangig geprägt
durch eine starke intrinsische Bildungsmotivation, die ein selbst-
ständiges Streben nach Bildungserfolg und die Heranziehung so-
zialer Kontakte zur Folge hat. Insgesamt resultieren daraus äußerst
günstige Ausgangsbedingungen eines Bildungsaufstiegs.
Diese vier Typen zeigen, dass die gemeinsame Ausgangsbedingung eines
bildungsfernen Elternhauses zu sehr unterschiedlichen Konstellationen
von Bedingungen und Handlungsstrategien führen kann. Darauf wird im
Folgenden näher eingegangen.
Bildungsressourcen im Elternhaus
Das Elternhaus übernimmt nicht bloß eine zentrale Rolle in der Sozialisa-
tion, sondern es kann als wesentliche Ressource für den Bildungsaufstieg
dienen. Da die Eltern der BildungsaufsteigerInnen jedoch ein niedriges for-
males Bildungsniveau haben, sind sie zumeist nicht in der Lage, ihre Kin-
der aktiv zu unterstützen.
Die Migrationserfahrungen der Eltern, die in der Regel mit geringen Bil-
dungsressourcen aus der Türkei nach Österreich gekommen sind und keine
Möglichkeit hatten, eine höhere Bildung und bessere Berufschancen zu er-
langen, lassen diese aber ein größeres Bewusstsein für den hohen Stellen-
wert der Bildung entwickeln. Folglich zeichnen sich viele Eltern durch ide-
alistische Bildungsaspirationen für ihre Kinder aus. Es konnte allerdings
Die gemeinsame Ausgangsbedingung eines bildungsfernen Elternhauses
kann zu sehr unterschiedlichen Handlungsstrategien führen.
11 Überraschenderweise sind die-
sem Typus ausschließlich weibliche
Bildungsaufsteigerinnen zugeord-
net. Die spezifische Wechselwirkung
zwischen Müttern und Töchtern
hinsichtlich des Bildungsaufstiegs
verweist auf einen unerfüllten Bil-
dungswunsch der Mütter, den sie
an die Töchter delegieren. In diesem
Sinn kann die Migrationserfahrung
der Mütter als eine förderliche Res-
source unter den geänderten Bedin-
gungen gedeutet werden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven