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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
den (vgl. Mehtap, Z. 227–231). Personen mit Migrationshintergrund ste-
hen stets vor der Herausforderung, ihre stark von Ambivalenzen geprägte
Identität zu bewahren und die Erfahrungen mit einer zweifachen Identität
konstruktiv zu bewältigen. Andere Studierende betonen außerdem, dass
es ihnen ein großes Anliegen sei, den türkischen Anteil ihrer Identität mit
den für sie wichtigen Aspekten der türkischen Kultur nicht aufzugeben und
an ihre Kinder weiterzugeben (vgl. Zeynep, Z. 536–544). Zeki hebt zwar
einerseits sein Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich hervor, er merkt aber
auch an, dass er seine türkische Prägung weiterhin pflegen möchte. Eine
Integration in die österreichische Gesellschaft, jedoch ohne Assimilation,
sei sein Ziel (vgl. Zeki, Z. 231–234). Ebenso äußert sich Sultan, die darauf
achtet, dass ihre türkische Identität nicht durch die österreichische Kultur
verdrängt wird (vgl. Sultan, Z. 358–365).
Das Ziel der Studierenden ist es somit, ein Gleichgewicht zwischen dem
österreichischen und dem türkischen Anteil ihrer Identität herzustellen.
Sinan beispielsweise vermeidet eine eindeutige Zuschreibung seiner selbst,
indem er aus beiden Kulturen jene Werte übernimmt, die sich für ihn als
sinnvoll erweisen. Ohne sich einem bestimmten Land zuzuordnen, können
die Werte verschiedener Kulturen die eigene Identität bereichern:
„Ich merke schon, also ich habe das an meinem Charakter gemerkt, dass
ich mich nicht auf einen Ort festlegen kann. […] Ich fühle mich weder als
Türke noch als Österreicher! Ich glaube, das hat mit meinem Charak-
ter zu tun. Ich meine das jetzt nicht kognitiv, sondern ich empfinde das
tatsächlich so. Ich kann hier leben und bin glücklich in Österreich, aber
auch wenn ich in der Türkei leben würde, wäre ich glücklich. Und ich
mag die österreichische Gesellschaft, also die hat klarerweise auch posi-
tive und negative Seiten, […], aber ich für mich kann sagen, dass ich mich
zu keinem Volk oder auch keiner Kultur, zu keiner Gemeinschaft zuge-
hörig fühle. Ich kann Werte aus diesen Dingen schöpfen und für mich be-
anspruchen, aber ein Zugehörigkeitsgefühl habe ich nie erlebt. Deshalb
kann ich aber gut in Österreich leben und ich mag es auch, hier zu sein. Es
hat halt seine Vor- und Nachteile.“ (Sinan, Z. 405–416)
Neben der Schilderung ihrer Erfahrungen betreffend Zugehörigkeit und
Akzeptanz in der österreichischen Gesellschaft beschreiben einige Studie-
Das Ziel ist, ein Gleichgewicht zwischen dem österreichischen
und dem türkischen Anteil der Identität herzustellen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven