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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
in unser Haus. Bei uns war es auch so, dass wenn Mädchen achtzehn
werden, werden sie verheiratet oder das Thema kommt in das Haus. Bei
uns war es auf jeden Fall nicht so. Meine Mutter hat keine Gäste akzep-
tiert, die eigentlich eine Heirat oder so was im Sinn hatten. Und auch
wenn Gäste dann doch gekommen sind, hat sie sie abgewiesen.“ (Ayse,
Z. 424–438)
Für viele Eltern hat eine religiöse Grunderziehung ihrer Kinder einen gro-
Ăźen Stellenwert (vgl. Aylin, Ayse, Neslihan, Sinan, Zeki), in der praktizier-
ten Religion gehen die Erziehungsmethoden jedoch deutlich auseinander:
Manche Elternhäuser praktizieren den Islam nur oberflächlich (vgl. Aylin,
Sultan), während andere Eltern sehr darauf achten, ihr Leben nach religiö-
sen Normen zu gestalten (vgl. Ayse, Sinan, Zeki). Aus den Aussagen geht
auĂźerdem hervor, dass die meisten der Religion einen hohen Stellenwert
für ihre Lebensführung einräumen (vgl. Aylin, Ayse, Mehtap, Neslihan,
Zeynep, Ahmet, Sinan, Yasin, Zafer), wobei einige sich sogar noch stärker
an der Religion orientieren als ihre Eltern:
„Man hat mir schon erklärt im Kindesalter, es gibt einen Gott und wir
glauben an diese Religion und, und, und. Und dann musste ich auch eine
Moschee besuchen, hab die Basiskenntnisse gelernt. Eine Rolle hat es auf
jeden Fall gespielt. Ich glaube aber, dass das wieder aus meinem Interes-
se … dass sich das einfach weiterentwickelt hat … Meinen Eltern hätte es
gereicht, wenn ich nur die Basiskenntnisse hab und mich auskenne und
weiß, woran ich glaube. Das hätte ihnen gereicht, aber mir hat’s nicht
gereicht. Und deshalb hab ich weitergelesen. Warum, warum und wieso
machen wir das und wieso glauben wir an so was. Eine Rolle spielt’s für
mich sehr, sehr, sehr. Also Religion, mein Glaube, gestaltet mein Leben.
Aber für meine Eltern hätte es einfach gereicht, […] wenn sie ein gläubi-
ges, kein praktizierendes, sondern ein gläubiges Mädchen hätten. Also in
meiner Familie gibt es keine Praktizierenden. Fast keine. Vielleicht zwei
Leute. Das war’s auch schon.“ (Aylin, Z. 371–382)
Ähnliches berichtet Zeynep, deren religiöser Weg vor allem durch ihren
Freundeskreis und weniger durch die eher mäßig religiös orientierte Fa-
milie geprägt wurde (vgl. Zeynep, Z. 408–417). Dies verdeutlicht ihre Aus-
sage, sie habe bereits während ihrer Schulzeit gerne ein Kopftuch getragen,
ihre Mutter habe dies jedoch verhindert mit der BegrĂĽndung, dass sie die-
ses erst nach ihrer Heirat tragen solle (vgl. Zeynep, Z.Â
420–427).
Unter den Befragten sticht Mustafa hervor, welcher der Religion nur wenig
Bedeutung für seine Lebensführung einräumt, wobei er bei moralischen
Ăśberlegungen dennoch darauf zurĂĽckgreift:
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven