Seite - 99 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
Bild der Seite - 99 -
Text der Seite - 99 -
99 | www.limina-graz.eu
Edith Petschnigg | Generationen im jĂĽdisch-christlichen Dialog seit 1945
stammung und Erbschaft, zwischen Prokreation und Tradition, zwischen
Herkunft und Gedächtnis“ (Weigel 2003, 179).
Seit dem 19. Jahrhundert entwickelte sich zunehmend ein Generationen-
verständnis, das die traditionelle genealogische Bedeutung in den Hinter-
grund treten lieĂź. An ihre Stelle traten naturwissenschaftliche, kultur- und
geschichtswissenschaftliche Konzepte (vgl. Weigel 2003, 208). Gegenwär-
tig bezieht sich die Mehrzahl der Generationenkonzepte auf den Erfah-
rungsbegriff, um generationelle Vergemeinschaftungsvorgänge zu deuten.
Generationen werden demnach als Erfahrungsgemeinschaften verstan-
den, die gemeinsame Erlebnisse und Ereignisse kollektiv verarbeiten (vgl.
Jureit 2006, 13–14). Nicht nur, aber insbesondere einschneidende histo-
rische Zäsuren wie Revolutionen oder Weltkriege gelten als generations-
stiftend. Menschen fühlen sich durch ähnliche Erfahrungen, die generati-
onell sehr verschieden gelagert sein können, miteinander verbunden und
suchen gemeinsam nach Verarbeitungs- und Deutemöglichkeiten. Vor al-
lem im Ersten Weltkrieg sieht die Forschung ein signifikantes Beispiel fĂĽr
die Konstruktion eines Zusammenhangs von historischen Ereignissen und
Generationenbildung (vgl. Jureit 2006, 42).
Prägend für diese Konzeption ist zudem eine Theorie der politischen Ge-
nerationen, die Helmut Fogt im Anschluss an Karl Mannheims impulsge-
bende Schrift Das Problem der Generationen (1928) im Jahr 1982 vorlegte.
Eine politische Generation wird dieser Theorie zufolge durch die Mitglieder
einer Altersgruppe konstituiert, die in der Zeit ihres Heranwachsens „mit
bestimmten Schlüsselereignissen“ konfrontiert sind, deren Erleben sich
eindeutig von anderen Alterskohorten unterscheidet (vgl. Herbert 2003,
96–97).
Für die Analyse des jüdisch-christlichen Dialoggeschehens nach 1945 – im
Fokus stehen Gesprächsinitiativen an der Basis in den beiden postnatio-
nalsozialistischen Ländern Deutschland und Österreich – erweisen sich
historische politische Generationenkonzepte, so das Postulat des vorlie-
genden Beitrages, als am tragfähigsten. Einleitend seien daher zunächst
geschichtswissenschaftliche Zugänge zum Generationendiskurs näher
dargelegt.
Generationen werden als Erfahrungsgemeinschaften verstanden,
die gemeinsame Erlebnisse und Ereignisse kollektiv verarbeiten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven