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Edith Petschnigg | Generationen im jüdisch-christlichen Dialog seit 1945
Zum Generationenkonzept in der Geschichtswissenschaft
Das Konzept der Generationen erfährt in den verschiedensten Wissen-
schaftsdisziplinen zunehmend eine Konjunktur (vgl. Weigel 2003, 177).
Seit dem Beginn der wissenschaftlichen Generationenforschung in der
Mitte der 1920er-Jahre greift auch die Historiographie auf das Modell zu-
rück, Prozesse historischen Wandels mittels des Begriffs der Generation zu
interpretieren (vgl. Schulz/Grebner 2003, 2). Das Paradigma der Genera-
tionenbildung trägt in der Geschichtswissenschaft seitdem dazu bei, Ge-
schichte zu strukturieren, zu beschreiben und zu erklären (vgl. Jureit 2006,
53).
Wie lässt sich, geschichtswissenschaftlich verstanden, nun der Begriff der
Generation konkret fassen? Der französische Historiker Marc Bloch, der im
Frankreich der Zwischenkriegszeit gemeinsam mit Lucien Febvre die An-
nales-Geschichtsschreibung begründete und heute als einer der wichtigs-
ten Wegbereiter einer kritischen Geschichtswissenschaft gilt (vgl. Schött-
ler 2002, VII), charakterisiert das, was eine Generation ausmacht, als „ge-
meinsame Prägung, die vom gleichen Alter herrührt“ (Bloch 2002, 201).
Sozialisationsprozesse in einem ähnlichen sozialen Umfeld trügen dem-
nach zur Herausbildung ähnlichen Verhaltens bei, das sich von demjeni-
gen anderer Altersgruppen vielfach deutlich unterscheide. Gleichwohl gibt
Bloch zu bedenken, dass Gesellschaften selten homogen sind, sondern sich
von Milieu zu Milieu durchaus sehr unterscheiden, zudem Stadt-Land-
Unterschiede zu berücksichtigen seien und sich generationeller Wandel
ungleichzeitig vollziehen könne (vgl. Bloch 2002, 202).
Schon allein hieraus wird deutlich, dass eine Definition eines geschichts-
wissenschaftlichen Generationenbegriffs immer nur eine Annäherung an
eine schillernde Kategorie sein kann. Auch die Abgrenzung zwischen den
einzelnen als Generationen ausgemachten Gruppen ist diffizil. Zudem ist
die zeitliche Dauer charakteristischer generationeller Verhaltens- und
Handlungsweisen nicht einheitlich: „Es gibt in der Geschichte lange und
kurze Generationen“, wie Marc Bloch konstatiert (Bloch 2002, 202). So
versteht es sich fast von selbst, dass Generationen keine voneinander ab-
geschlossenen Entitäten darstellen, sondern sich überlappen und wechsel-
seitig beeinflussen können (vgl. Bloch 2002, 202–203; Jureit 2006, 40–41).
Der Begriff der Generation:
Annäherung an eine schillernde Kategorie
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven