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Edith Petschnigg | Generationen im jüdisch-christlichen Dialog seit 1945
Dass jüdisch-christliche Begegnungen nach 1945 in Deutschland und Ös-
terreich zustande kamen, wurde von vielen daran Beteiligten als Wunder
beschrieben. Die Last der Geschichte war vor allem in den Anfangsjahren
unmittelbar präsent und stellte eine wesentliche Hintergrundfolie des Di-
alogs dar. Für Rabbiner Jonathan Magonet, den Mitbegründer der Bendor-
fer Bibelwoche, gehörten von Anfang an drei Komponenten wesentlich zum
Dialoggeschehen, wenngleich diese – je nach zeitlicher Phase – in unter-
schiedlicher Gewichtung präsent waren und es bis heute sein können:
1. die „deutsch-jüdische Begegnung der Nachkriegszeit“,
2. der „jüdisch-christliche Dialog“ und
3. das „gemeinsame Studium der Hebräischen Bibel“.3
Gerade in den Anfangsjahren der jüdisch-christlichen Begegnungen, die
im Besonderen von Angehörigen der ersten Dialoggeneration getragen war,
stand ein Austausch über Fragen der Bibelauslegung meist nur vorder-
gründig im Mittelpunkt. Weitaus stärker wog in den ersten Nachkriegs-
jahrzehnten die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus.
Das gemeinsame Bibelstudium, zu dem man einlud, lieferte gleichsam
einen Vorwand, um ein Gespräch zwischen JüdInnen und ChristInnen im
postnationalsozialistischen Kontext überhaupt zu ermöglichen.
Solch unterschiedliche Ebenen des Dialoggeschehens unterstreicht etwa
der Londoner Rabbiner und Psychotherapeut Howard Cooper, oftmaliger
Teilnehmer der Bibelwoche von Bendorf und Georgsmarienhütte:
„It works on different levels. People come thinking that they are going to
study the Hebrew Bible, Jews and Christians. But in a more unconscious
way there is a kind of reparation work which is much more personal and
psychological, which goes on perhaps in a more informal connection“
(Interview Cooper).
Für die erste christliche Dialoggeneration, die die Kriegszeit bewusst erlebt
hatte, bildeten Schuldgefühle gegenüber jüdischen Menschen vielfach das
bestimmende Moment ihres Engagements im jüdisch-christlichen Ge-
spräch, wie Rabbiner Howard Cooper rückblickend auf seine eigene jahr-
zehntelange Dialogerfahrung im Rahmen der Bibelwoche von Bendorf wei-
ters ausführt:
„People were just very, very grateful that Jews were prepared to come
back and engage in dialogue. […] It was still that generation who has
3 Vgl. Geschichte der Internationa-
len Jüdisch-Christlichen Bibelwoche
(Informationsblatt für Teilneh-
mende, maßgeblich formuliert von
Jonathan Magonet), o. J., in: Archiv
Haus Ohrbeck, Jüdisch-Christliche
Bibelwochen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven