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Edith Petschnigg | Generationen im jüdisch-christlichen Dialog seit 1945
engagierten. Zu den Charakteristika der ersten Dialoggeneration gehörten
somit die Erfahrung des Erlebens (und Überlebens) der NS-Zeit – auf Tä-
terInnen- wie auf Opferseite – und die Suche nach einer Verarbeitung des
Erlebten im Rahmen einer jüdisch-christlichen Begegnung in den Jahren
und Jahrzehnten danach.
Die zweite Dialoggeneration
Will man die spezifischen Merkmale der nachfolgenden Generation(en) im
Dialog untersuchen, gilt es, transgenerationale Phänomene in den Blick zu
nehmen. Die Frage nach der Transgenerationalität wird in der Generatio-
nenforschung nach der Schoah bereits seit Jahrzehnten gestellt. Wegwei-
send für diesen Diskurs war der 1982 erschienene Band Generations of the
Holocaust (Bergmann/Jucovy 1982), der aus psychoanalytischer Perspek-
tive transgenerationale Übertragungen auf die Nachkommen der Überle-
benden und Täter thematisierte. Transgenerationale Übertragung bedeu-
tet, dass unbearbeitete Erfahrungen unbewusst von einer Generation an
die nächste weitergegeben werden. Für die nachfolgende Generation hat
dies zur Folge, dass sie sich mit Konflikten, Schuldgefühlen oder Traumata
konfrontiert sieht, die nicht die ihren sind, die ihr Leben aber wesentlich
beeinflussen (vgl. Jureit 2006, 16–17).
Der britische Rabbiner und Psychotherapeut Daniel Smith ist einer jener
Dialogakteure, deren Leben stark von der Schoah überschattet und belas-
tet war. Als Angehöriger der zweiten Generation waren seine Kindheit und
Jugend tiefgreifend von der Geschichte seiner Eltern geprägt, die 1939 aus
der Tschechoslowakei, wo sie einen großen Teil ihrer Familie zurücklas-
sen mussten, nach Großbritannien fliehen konnten. Sein Weg, sich mit
der Vergangenheit auseinanderzusetzen, führte ihn zunächst zum Studi-
um der Psychologie und Philosophie, bevor er sich dem Rabbinatsstu dium
am Leo-Baeck-College zuwandte. Den Besuch der Jüdisch-Christlichen Bi-
belwoche von Bendorf, an der er bereits 1970 als Student zum ersten Mal
teilnahm, sieht er rückblickend als wesentlichen Teil seines persönlichen
Heilungsprozesses an:
Unbearbeitete Erfahrungen werden unbewusst von
einer Generation an die nächste weitergegeben.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven