Seite - 110 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
Bild der Seite - 110 -
Text der Seite - 110 -
110 | www.limina-graz.eu
Edith Petschnigg | Generationen im jüdisch-christlichen Dialog seit 1945
„In terms of Bendorf, the important thing was before I was born: the fact
that my parents left the continent in 1939. When I was younger, I believed
the most important facts in my life happened before I was born. That
happened to my parents, but it gave me so much of my childhood. Now I
think I have moved on; but in the first half of my life, I did have, really, to
deal with that. This is one of the reasons I became a psychologist because
I first went to therapy to deal with it – to analysis, to a therapist – but it
was hard to go in because of what I think I inherited. I had to heal. They
could not face some of the issues: it was too painful. They had to deal
with it. To get to Bendorf was my own healing inside myself“ (Interview
Smith).
In ähnlicher Weise erinnert sich die holländische Jüdin Jacqueline Fran-
kenhuis an ihre erste Teilnahme an der Jüdisch-Christlichen Bibelwoche
in Bendorf Ende der 1970er-Jahre. Als Tochter zweier Überlebender der
Schoah – ihre Mutter überlebte in einem Versteck, ihr Vater das Vernich-
tungslager Auschwitz – stellte eine Reise nach und durch Deutschland eine
große innerliche Hürde dar. Dennoch entschloss sie sich, die belastende
Fahrt auf sich zu nehmen:
„Es war erst mal ganz, wie sagt man das, schwierig, weil es war in
Deutschland. […] Das war meine erste Reise nach Deutschland. Ich habe
gesagt, okay, ich gehe dahin, ich halte nicht an. Ich gehe über die Grenze,
ich fahre durch. Ich habe mich auch mit niemandem unterhalten außer
mit den Teilnehmern der Konferenz. […] Ich bin hergekommen, ich habe
mich mit Leuten getroffen, ich habe geredet. Ich dachte, ja, das ist genau,
was ich brauche. Ich war mittlerweile ein bisschen religiös, ging in die
Synagoge“ (Interview Frankenhuis).
Jacqueline Frankenhuis war es wichtig, trotz oder gerade wegen der Bürde
der Vergangenheit, als Angehörige der zweiten Generation einen Neuanfang
zu setzen. Im Bewusstsein, dass auch auf deutscher Seite die Nachkommen
der Kriegsgeneration von transgenerationalen Dynamiken betroffen wa-
ren, stellte sie sich selbst ferner die Frage nach ihrer eigenen Identität und
inwiefern sich diese von der ihrer Elterngeneration unterscheiden dürfe:
„Die Nachkriegsgeneration in Deutschland war natürlich auch geschä-
digt, so wie ich auch geschädigt war. So wer bin, warum bin ich da? Kann
ich noch denken, wie meine Eltern dachten?“ (Interview Frankenhuis).
„Kann ich noch denken, wie meine Eltern dachten?“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven