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Martina Schmidhuber | Mehr-Generationen-Wohnen als Zukunftsmodell
„Autonomie ist eigentlich immer relationale Autonomie. Zum einen be-
darf jeder Mensch Unterstützung, um selbstbestimmt leben zu können.
Besonders deutlich wird dies in Situationen erhöhter Vulnerabilität, etwa
bei Behinderung, im Falle schwerer Erkrankung, in hohem Alter oder am
Lebensende.“ (Bielefeldt 2017, 58)
Eine gerechte Gesellschaft zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie
die schwächsten Mitglieder, die sich in vulnerablen Situationen befinden,
unterstützt und fair behandelt. Das Postulat, auf die Schwächsten der Ge-
sellschaft zu achten, findet sich bereits in John Rawlsʼ Theorie der Gerechtig-
keit, u. a. in den Überlegungen zum Schleier des Nicht-Wissens: Niemand
weiß bei der Verteilung der Güter im Urzustand, ob er sich in einer besseren
oder schlechteren Position befindet. Mittel müssen deshalb so verteilt wer-
den, dass auch der Schlechtestgestellte gerecht behandelt wird (vgl. Rawls
2008).
Eine Gruppe von Personen, die sich in einer schwachen resp. vulnerablen
Position befindet, auf die eine gerechte Gesellschaft im Sinne Rawls des-
halb besonders achten muss, ist die Gruppe der Menschen mit Demenz.
Wohnformen für Menschen mit Demenz
Exemplarisch für Menschen in vulnerablen Situationen sollen in der fol-
genden Betrachtung im Kontext der Wohnformen Menschen mit Demenz
in den Blick genommen werden. Dafür gibt es zwei Gründe. Menschen mit
Demenz befinden sich zum einen – vor allem wenn es sich um die häufigste
Demenzform, die Alzheimer-Krankheit, handelt – in einer besonders vul-
nerablen Situation: Es ist keine Heilung in Sicht, stattdessen nehmen viele
Fähigkeiten stetig im Verlauf der Erkrankung ab (vom Gedächtnisverlust
bis hin zum Verlust der verbalen und motorischen Fähigkeiten). Sie sind,
je weiter die Krankheit fortschreitet, immer stärker von anderen abhängig
und auf andere angewiesen.
Zum anderen nimmt die Zahl der Menschen, die von einer Demenz be-
troffen sein werden, laut Prognosen von Experten in den nächsten Jahr-
zehnten exorbitant zu: Die Zahl von aktuell ca. 50 Millionen Menschen mit
Demenz weltweit wird sich laut Prognosen 2050 verdreifacht haben (vgl.
Alzheimerʼs Disease International 2018). Deshalb ist es ein Gebot der Stun-
de, Wohn- und Lebensformen zu schaffen, die auch für Menschen mit De-
menz einen guten Lebensabend ermöglichen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven