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Anna-Christina Kainradl und Ulla Kriebernegg | „They say we messed it up. Killing the planet ...“
der „grauen Flut“ (FM1 Today 2018, o. S.) und dem „silbernen Tsunami“
(Zwick/Lang 2019, o. S.) beschrieben wird, so ist hier eine wirkmächtige
Bildsprache zugegen, die die sogenannte „Überalterung“ der Gesellschaft
mit Katastrophenszenarien gleichsetzt. Derartige Sprachbilder prägen un-
sere Wahrnehmung der Wirklichkeit und verstärken das Narrativ des Alters
als Bedrohung. Andrea Charise beobachtet den Einfluss der Metapher des
„silbernen Tsunami“ wie folgt:
„Conceived en masse, the elderly are naturalized as a liquid cataclysm
whose volume exceeds the nation’s ability to contain, or even guard
against, an abstracted human burden“ (Charise 2012, 3).
Durch Abstraktion und Entpersonalisierung wird das Narrativ der Last
und der Bedrohung in einen Diskurs der „apocalyptic demography“ (Cha-
rise 2012, 3) eingeschrieben, der, wie der kanadische Soziologe Stephen
Katz (1996, 57–58) nachweist, eine lange Geschichte hat und im Laufe
des 20. Jahrhunderts normalisiert wurde. Der in sich widersprĂĽchliche Re-
form-Diskurs, der sich im Laufe des 17. Jahrhunderts herausbildete, war
prägend für die Entwicklung sozialer Institutionen: „The contradictory
discourse of reform was crucial to the development of the almshouse as
a social institution in its function as a technology of differentiation in the
case of old age“ (Katz 1996, 53).
Die soziale Konstruktion der „Alten“ als separater Gruppe, so Katz, sei die
Grundlage fĂĽr einen alarmistischen Diskurs und lasse sich einerseits durch
die historische Entwicklung der Armenhäuser, der Vorläufer der Alters-
heime, erklären, wie sie das Elizabethan Poor Law (1601) definierte, näm-
lich als „institution of population differentiation“ (Katz 1992, 209) – der
Differenzierung der Bevölkerung nach Alter, sozialem Stand und körper-
lichen Fähigkeiten. Armenhäuser versorgten die sogenannten „impotent
poor“, Menschen, die zu krank oder zu alt dafür waren, noch körperliche
Arbeit zu leisten. Andererseits ist das Narrativ der Krise dem Einfluss des
Malthus’schen Katastrophendiskurses des 19. Jahrhunderts geschuldet,
Die sogenannte „Überalterung“ der Gesellschaft
wird mit Katastrophenszenarien gleichsetzt.
Grundlage fĂĽr einen alarmistischen Diskurs ist
die Konstruktion der „Alten“ als separate Gruppe.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven