Seite - 207 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
Bild der Seite - 207 -
Text der Seite - 207 -
207 | www.limina-graz.eu
Roberta Maierhofer | „Clash of Generations“ oder gelebte Intergenerationalität: Visages Villages (FR 2017)
ignoriert und in der Sequenz, in der das auf einen Felsen am Strand ange-
brachte Poster ĂĽber Nacht vom Meer fortgespĂĽlt wird, auch adressiert ist,
unternimmt es Varda, die einzelnen Foto-Aktionen filmisch festzuhalten
und ihnen damit eine „Erinnerung“ zu geben.
Für die „Modelle“ wie für Varda und JR haben die einzelnen Aktionen eine
Gegenwärtigkeit, die dann in den Fotos und im Film zu Erinnerungen um-
gewandelt wird. Durch das Projekt und den Film allerdings wird die viel-
fältige Dimensionalität der Gegenwärtigkeit, des Moments, zur Geltung
gebracht: als Entstehung von Vergangenheit und als Zugang zur Zukunft,
als Einmaligkeit und Wiederholung, als Erlebnis und Repräsentation/Wis-
sen. Die persönliche, erlebnishafte Erinnerung an den Moment, in dem das
Kunstprojekt stattfindet, findet Eingang in eine gegenständliche, wissent-
liche Kontinuität, festgehalten von Foto und Film. Das Publikum von Foto
und Film besteht nicht nur aus den Beteiligten, sondern – implizit – aus
der Gesellschaft, die auf das jeweilige Kunstwerk, auf die jeweilige Erin-
nerung, auf die kreierte Identität reagieren kann. So äußert Visages Villages
Erinnerung in kollektiver, wissentlicher Form fĂĽr individuell erlebte Er-
fahrungen.
Der Film konstituiert also Erinnern und Erinnerungen als individuell er-
fahren und sozial geformt, als aktuell ereignet und als Wissen reprä-
sentiert und bringt zugleich auch die Wirksamkeit des Erinnerns auf die
Gestaltung – des Kunstwerks wie der menschlichen Existenz – zur Gel-
tung. Alter/Altern bestimmt sich nicht zuletzt aus dem individuellen und
kollektiven Umgang mit den Erinnerungen. Visages Villages stellt die Ver-
schränkung von individueller Einmaligkeit und kollektiver Ähnlichkeit der
Erinnerungen dar, jede Kunstaktion schafft ein besonderes Ereignis, das
im Film mit den anderen Ereignissen in eine Bezogenheit gestellt wird. Er-
lebnis und Repräsentation werden vom Kunstwerk in eine formal-inhalt-
liche Gesamtheit gebracht, in deren gegenständlicher Gegenwärtigkeit die
menschliche Gestaltung der Existenz zur Äußerung, zum Wissen gebracht
wird.
Keiner der beiden Zugänge – durch Foto und Film angezeigt – ist für das
Zustandekommen der Identität des Kunstwerks ersetzbar, obwohl jeder für
sich allein die Erinnerungen und das Erinnern nur beschränkt adäquat äu-
ßern würde. Die durch eine Augenkrankheit beeinträchtige Sehkraft Vardas
sowie die durch eine Sonnenbrille ständig abgedunkelte Sicht JRs geben auf
diese Beschränkung wohl einen Hinweis. Im gemeinsamen, intergenera-
tionalen Gestalten der Existenz ergeben sich fĂĽr das Alter und die Jugend
unterschiedliche Zugänge, die aber jeweils aufeinander bezogen sind, um
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven