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Wolfgang Benedek | Religiöser Fundamentalismus aus menschenrechtlicher Sicht
Machterhalts noch staatlich gefördert wurden. Wie das Beispiel Pakistan
zeigt, kann man aufgrund eines sehr weitreichenden Blasphemieverständ-
nisses sehr leicht im Gefängnis landen, ja auch die Todesstrafe ist mög-
lich.5 Weltweit stehen Religions- und Weltanschauungsfreiheit in vielen
Ländern zunehmend unter Druck.6
Kaum ein Menschenrecht ist für Fundamentalisten so schwer zu ertragen
wie das Recht auf Meinungsfreiheit bzw. auf freie Meinungsäußerung. Das
lässt sich insbesondere bei als Blasphemie empfundenen Texten oder Ka-
rikaturen nachweisen, wie die sog. dänischen Karikaturen oder die Kari-
katuren in der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo zeigen (vgl.
Herzberg 2015). Muslime in weit entfernt liegenden Ländern können sich
aufgrund der Globalisierung zum Beispiel durch einen in den USA produ-
zierten Videoclip über den Propheten Mohammed in ihren Wertvorstellun-
gen verletzt fühlen, radikalisierte Muslime fühlen sich zu Gewaltanwen-
dung motiviert (vgl. Benedek/Kettemann 2020, 41).
Eine richtunggebende Entscheidung für das Verhältnis zwischen Religi-
onsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit traf der Europäische Gerichts-
hof im Fall E.S. gegen Österreich, der 2018 entschieden wurde. Hier hatte eine
Referentin bei einer öffentlichen Fortbildungsveranstaltung zu „Grundla-
gen des Islam“ im Rahmen des Bildungsinstituts der Freiheitlichen Partei
Österreichs im Jahr 2009 behauptet, dass der Prophet Mohammed nicht
der ideale Mann gewesen sei, wie die Muslime glaubten, auch weil er pä-
dophil war, weil er „nun mal gerne mit Kindern ein bisschen was“ gehabt
habe, wofür als Beispiel eine 6-Jährige genannt wurde. Gemeint war die
Heirat mit Aisha. Ein Journalist brachte diese Aussage zur Anzeige und die
Referentin wurde von österreichischen Gerichten wegen Herabwürdigung
religiöser Lehren gem. § 188 Strafgesetzbuch zu einer geringen Strafe von
€ 480,- verurteilt, weil darin „eine Beschimpfung oder Verspottung einer
Religion oder von ihr verehrter Personen“ gesehen wurde. Auch der Oberste
Gerichtshof sah darin kein Bemühen um einen Beitrag zu einer seriösen De-
batte zu Islam oder der Frage der Kinderehe, sondern eine bewusste Dif-
famierung des Propheten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
würdigte die von den österreichischen Gerichten getroffenen Abwägungen
im Hinblick auf den bestehenden erheblichen Ermessensspielraum in sol-
chen Fällen einstimmig als ausreichend und sah keine Verletzung der von
5 Siehe zu Pakistan: „Professor
wegen Blasphemievorwürfen zum
Tode verurteilt“, Zeit Online vom
21.12.2019, https://www.zeit.de/ge-
sellschaft/zeitgeschehen/2019-12/
pakistan-blasphemie-vorwurf-to-
desurteil-junaid-h?utm_refer-
rer=https%3A%2F%2Fwww.google.
com [30.11.2020].
6 Vgl. Zweiter Bericht der deutschen
Bundesregierung zur weltweiten
Lage der Religionsfreiheit für 2018
und 2019 (Berlin 2020), https://
www.bmz.de/religionsfreiheit/de/
der-bericht/Zweiter-Religionsfrei-
heitsbericht.pdf [09.03.2021],
Kaum ein Menschenrecht ist für Fundamentalisten so schwer
zu ertragen wie das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven