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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
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69 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische Gefährdung Soll Fundamentalismus ausschließlich als Reaktion auf Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts verstanden werden, als „moderne Gegen-Mo- derne“ (Meyer 2011, 19), oder lässt sich der Begriff rückwirkend auch auf historische Phänomene anwenden, wie etwa Weißner (1996) vorschlägt? Wenn man der ersten Deutung folgt: Kann ‚Moderne‘ als einheitliches Pro- blem überhaupt beschrieben werden oder stellt sich ‚Moderne‘ nicht in un- terschiedlichen Kontexten ganz anders dar – und wird Fundamentalismus damit zu einem gänzlich relativen Begriff? Darüber hinaus erschwert auch der pejorative Grundton des Begriffs ‚Fundamentalismus‘ dessen Verwen- dung: Wie eng oder weit darf er analytisch gefasst werden, wenn damit implizit oder explizit ein sehr negativ wertendes Urteil verbunden ist? Wie lässt sich vermeiden, dass eine Vielzahl an Weltanschauungen oder Grup- pen sich einem Fundamentalismus-Vorwurf auszusetzen hat, nur weil sie bestimmte Positionen vertreten? Auf Grund der oben skizzierten Problemlage plädiere ich zugleich für eine Verengung und Weitung des Verständnisses von Fundamentalismus. Ich unterstütze die Argumentation von Thomas Schirrmacher, den Funda- mentalismus-Begriff ausschließlich anzuwenden, wenn eine Neigung zur Ausübung von Gewalt feststellbar ist, oder diese zumindest legitimiert wird. Diese Gewalt kann sowohl nach innen, etwa als Reaktion auf Ab- weichler:innen, wie auch nach außen ausgeübt werden (vgl. Schirrmacher 2011, 14–15). So ‚anti-modern‘, rigid oder geschlossen soziale Systeme auch sein mögen – eine negativ wertende Bezeichnung als ‚fundamenta- listisch‘ ist erst dann ausreichend begründet, wenn diese Weltanschauung mithilfe von Gewalt durchgesetzt wird und diese Weltanschauung zugleich so adaptiert wird, dass diese Gewalt durch sie legitimiert wird. Erst dadurch wird eine Verabsolutierung von fundamentals vollständig erreicht. Eine solche Einengung führt aber zugleich zu einer Weitung, da sich auf diese Weise auch historische Phänomene als ‚fundamentalistisch‘ einstufen las- sen: Nach Gernot Weißner lässt sich immer dann von ‚Fundamentalismus‘ sprechen, wenn (religiöse) Bewegungen die Verletzung menschlichen Le- bens durch ihren eigenen Wahrheitsanspruch rechtfertigen (vgl. Weißner 1996, 61–62).4 Diese enge Anbindung an Gewalt schützt vor einer inflatio- nären Verwendung des Fundamentalismus-Begriffs, gerade auch als Ins- trument des Vorwurfs. Erscheinungen, die bisweilen mit dem Fundamen- 4 Im Unterschied zu Opferkulten, in denen Gewalt Teil des religiösen Systems selbst ist, geht es hier um die Durchsetzung von religiösen Lehren und Lebensformen, die Ge- walt im Regelfall nicht ausüben. Ein Plädoyer dafür, den Fundamentalismus-Begriff nur dann anzuwenden, wenn eine Neigung zur Legitimierung oder Ausübung von Gewalt feststellbar ist
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
4:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
224
Kategorien
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