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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Seite - 75 -
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75 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische GefĂ€hrdung im Deutschen mit ‚Abscheu‘ besser wiedergegeben wird, wĂ€hrend core und animal-nature disgust wohl eher mit ‚Ekel‘ zu ĂŒbersetzen wĂ€ren. Ekel ist eine Ă€ußerst komplexe Emotion und kann als eine Art Warn- bzw. Abwehrsystem des Körpers gegen potenziell schĂ€dliche Substanzen ver- standen werden, etwa durch Erbrechen. Ekel ist mit dem parasympathi- schen und enterischen Nervensystem verbunden, speziell mit verlangsam- tem Herzschlag und dem Empfinden von Übelkeit, und von kĂŒrzerer Dauer als andere negativ erlebte Emotionen, wie etwa Zorn. Ekel ist eine angebo- rene FĂ€higkeit des Menschen, die jedoch zugleich in höchstem Maße kultu- rell beeinflusst ist. Als eine Art Immunsystem des Verhaltens richtet er sich gegen bestimmte Substanzen, Tiere, Aspekte des menschlichen Körpers sowie GerĂŒche (vgl. Rozin/Haidt/McCauley 2008). Ekel / Abscheu dient dazu, den Körper vor Substanzen zu schĂŒtzen, die als gefĂ€hrdend, unrein oder ansteckend gelten; diese Reaktion ist im Menschen evolutionsbio- logisch angelegt, wird jedoch je nach kulturellem Kontext unterschiedlich ausgeprĂ€gt und auf unterschiedliche Objekte bezogen. Das Zusammenwir- ken von Kultur und Natur ist daher weitaus komplexer, als Douglas ange- nommen hatte, und die biologischen Veranlagungen weisen auch auf eine UniversalitĂ€t von Reinheitsvorstellungen hin, etwas, wovon Douglas nicht ausgegangen ist (vgl. Duschinsky 2016, 6–8). Menschen bezeichnen aber auch Handlungen, Vorstellungen, Ideen und Aussagen als ‚ekelhaft‘, ‚abscheulich‘ oder ‚widerwĂ€rtig‘, und in der Folge auch deren Urheber:innen; oder aber Menschengruppen werden als wider- lich oder ‚schmutzig‘ empfundene Handlungen zugesprochen und dadurch werden sie selbst als widerwĂ€rtig markiert.7 Dies trifft vor allem dann zu, wenn diese Handlungen als gravierende, bedrohliche VerstĂ¶ĂŸe gegen das eigene Ordnungssystem wahrgenommen werden. Das ‚Abscheuliche‘ einer Tat oder eines Gedankens wird auf dessen Urheber:innen ĂŒbertragen, die man als ‚widerwĂ€rtig‘ bezeichnet und die besonderer Ächtung, im Extrem- fall sogar einer Dehumanisierung, ausgesetzt sind. Abscheu wird auf diese Weise auch zu einer sozialen Emotion: Dies trifft vor allem dann zu, wenn das die Ordnung bedrohende Verhalten als moralisch niedrig gilt. Nick Haslam hat in seiner Studie zu Dehumanisierung gezeigt, dass Menschen emotional unterschiedlich auf Bedrohungen ihrer Ordnung reagieren: Die Reaktion auf als ebenbĂŒrtig und konkurrierend angesehene Menschen und deren Handlungen ist von Furcht und Zorn begleitet, dagegen geht die Ekel oder Abscheu fungieren als eine Art Immunsystem des Verhaltens. 7 Hier werden oft materiale, inter- personale und moralische Referen- zen von Ekel verbunden: Einer Gruppe, die man aus ethnischen, religiösen oder anderen GrĂŒnden ablehnt, werden zugleich widerwĂ€r- tige Praktiken zugesprochen, zum Beispiel bei Sexualität, Körperpflege oder ErnĂ€hrung; oder auch physische und neuerdings genetische Defor- mierungen. Sogenannte ‚Phobien‘ sind daher oft nicht Ängste, sondern Empfindungen von Abscheu.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
4:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
224
Kategorien
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