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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Seite - 79 -
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79 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische Gefährdung integrieren, und um Unklarheiten zu beseitigen, wird nun das eigene Ord- nungssystem verengt. Eine Strategie des Fundamentalismus ist es, diese Vereindeutigung zu verstehen als Rückgriff auf eine ursprüngliche, ima- ginierte reine Form des (religiösen) Systems; die Religion wird gleichsam von historischen Fehlentwicklungen gereinigt und in ihren wahren Zustand zurückversetzt (vgl. Antoun 2001, 55): „Wahrheitsobsession, Geschichts- verneinung und Reinheitsstreben sind […] Grundbegriffe von Ambiguitäts- intoleranz, die die Basis jedes Fundamentalismus bilden.“ (Bauer 2018, 29) Diese Strategie ist jedoch nicht exklusiv fundamentalistisch, sondern ins- gesamt typisch für (religiöse) Reformbewegungen – zum Fundamentalis- mus bedarf es also noch weiterer Entwicklungen. Der nächste Schritt ist es, Abweichungen nicht nur als falsch, böse oder unmoralisch zu brandmarken, sondern als Gefährdung der Reinheit des eigenen Systems. Ideen, Handlungen oder gesellschaftliche Entwicklun- gen gelten nun als ‚ansteckend‘, als Bedrohungen und Unterwanderun- gen. Ein Nebeneinander scheint nicht mehr möglich ohne Preisgabe des eigenen Systems. Hier wird nun die menschliche Fähigkeit zum Abscheu wirksam. Dies lässt sich mit Studien zum Ekelempfinden gut untermau- ern; Proband:innen empfinden Abscheu gegenüber ‚widerwärtigen‘ Ver- haltensweisen, Ideen oder Aussagen, nicht jedoch bei ‚falschen‘ Aussagen oder Handlungen (vgl. Horberg et al. 2009; Ritter et al. 2016). Es kommt zu einem tief empfundenen Unbehagen; das physische Erleben von Abscheu wird subjektiv auch auf Ideen und Handlungen übertragen, oder tatsäch- lich physisch erlebt. Die Bedrohung wird so am eigenen Leib erfahren. Nach Douglas hat jedes Ordnungssystem nun fünf Möglichkeiten, mit ver- unsichernden, gefährdenden Anomalien umzugehen, ohne sich selbst än- dern zu müssen (vgl. Douglas 1985, 57–59): 1. Die Anomalie wird so reinterpretiert, dass sie mit dem Deu- tungssystem doch kompatibel ist. 2. Die Anomalie wird physisch eliminiert. 3. Die Anomalie wird vermieden, tabuisiert, aus dem Blickfeld ent- fernt. 4. Die Anomalie wird als gefährlich markiert und stigmatisiert oder verfolgt. 5. Die Anomalie wird durch ein Ritual in das Ordnungssystem inte- griert. Abweichende Ideen werden zu Bedrohungen.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
4:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
224
Kategorien
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