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Adem Aygün | Fundamentalismus im zeitgenössischen islamischen Denken
1 Einleitung
In den letzten Jahren musste die ganze Welt erfahren, wie viele Jugendliche
freiwillig aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, aber auch aus Europa
nach Syrien gereist sind, um sich an Gräueltaten der ISIS im Namen der
islamischen Religion zu beteiligen. Expertinnen und Experten sind sich
einig, dass die Motive muslimischer Jugendlicher sehr unterschiedlich
und vielfältig sind, und betonen, dass die Beteiligung an Gewalttaten von
strukturellen, sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Fakto-
ren beeinflusst ist. Bei vielen Gelegenheiten verurteilen Muslime, die den
Mainstream-Islam vertreten, die Attentate, die im Namen des Islam verübt
werden, und distanzieren sich unmissverständlich von den Attentätern. All
diese Bemühungen reichen jedoch nicht aus, um zu verhindern, dass der
Islam in der westlichen Wahrnehmung vielfach als gewaltverherrlichende
Religion betrachtet wird. Im akademischen Diskurs findet sich daher nicht
selten die Annahme, dass auch die islamische Theologie einen Nährboden
für Gewalt bereite.
Um diese weltweite Gewaltspirale als Phänomen beschreiben zu können,
prägten die deutschen Sozialwissenschaften in den letzten Jahren Begriffe
wie Islamismus (Seidensticker 2014), Integralismus (Sachse 2009), islami-
scher Radikalismus (Aslan/Erşan Akkılıç/Hämmerle 2018), Fundamentalis-
mus, politischer Islam sowie Salafismus (Ceylan/Kiefer 2013) und Dschiha-
dismus (Hummel/Logvinov 2014). Diese Begriffe werden im akademischen
Diskurs und in den Berichterstattungen häufig synonym verwendet. Aller-
dings bezieht sich diese synonyme Verwendung nicht nur auf politisch ra-
dikalisierte Formen des Islam, sondern beschreibt auch eine Ideologie, die
als Islamismus und islamischer Fundamentalismus bezeichnet wird.
Obwohl diese begriffliche Verwirrung eine systematische Herangehens-
weise an das Thema des islamischen Fundamentalismus erschwert, ist es
dennoch möglich, dieses Phänomen auch aus einer innerislamischen Per-
spektive darzustellen.
Eine übliche Klassifizierung der islamischen Erscheinungsformen beruht
auf folgenden Unterscheidungen:
Im akademischen Diskurs findet sich nicht selten die Annahme, dass
die islamische Theologie einen Nährboden für Gewalt bereite.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven