Seite - 117 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Bild der Seite - 117 -
Text der Seite - 117 -
117 | www.limina-graz.eu
Adem Aygün | Fundamentalismus im zeitgenössischen islamischen Denken
men oder gottesdienstliche Handlungen nicht praktizieren. Es ist in die-
sem Milieu eine verbreitete Praxis, einen Muslim oder eine Gruppe mit dem
Apostasie-
Vorwurf abzuwerten oder sie zu Ungläubigen, also Kuffar, zu er-
klären (vgl. Holtmann 2014, 270).
Ein weiteres offensichtliches Merkmal des Salafi-Traditionalismus ist die
Betonung der Tawhid-Lehre (Einheit Gottes) und des Dschihad. Tawhid
stellt ein wichtiges Prinzip dar, das die Grundlage der islamischen Religion
bildet. Allerdings wurde diese Lehre innerhalb der salafistischen Bewe-
gungen so politisiert, dass dieser Diskurs eine radikale Form annimmt. Der
Terminus tawhid, der ursprünglich die Einheit und Einzigartigkeit Gottes
bezeichnet, bedeutet nach salafistischer Auffassung, dass eine ‚wahrhaf-
te‘ islamische Lebensführung nur in Übereinstimmung mit Scharia-recht-
lichen Regelungen möglich ist. Daher werden keine Herrschaftssysteme
akzeptiert, die nicht auf der Scharia basieren (vgl. Lohlker 2009, 65).
Bewegungen, die als Beispiele für den Salafi-Traditionalismus genannt
werden können, sind Wahhabiten, Al-Qaida, ISIS, Dschihadisten und poli-
tische Salafisten.
Reformismus
Der Ansatz des Reformismus geht davon aus, dass nicht der Islam bzw. das
Festhalten an islamischen Prinzipien, sondern die Muslime selbst für die
Rückständigkeit der islamischen Welt verantwortlich sind. Reformisten
tendieren nicht zu einer so strengen Bewahrung der Tradition wie die Tra-
ditionalisten, kritisieren die Tradition jedoch auch nicht so stark wie die
Modernisten. Trotz einer ausgeprägten Kritik an der Verwestlichung und
der Moderne besteht die Auffassung, dass es möglich ist, von der Moderne
selektiv und zweckmäßig zu profitieren. Es lässt sich der Versuch beobach-
ten, in Bezug auf die Hauptquellen des Islam ein Gleichgewicht zwischen
Vernunft und Überlieferung herzustellen. Diese ausgleichende Haltung
wurde von Traditionalisten und Modernisten als Pragmatismus und Op-
portunismus bewertet und kritisiert.
Anders als im Traditionalismus werden für Führungspositionen in der Or-
ganisationsstruktur eine theologisch-fundierte Ausbildung und entspre-
chende Kompetenzen nicht vorausgesetzt. Daher werden die Posten an der
Die ausgleichende Haltung des Reformismus wird von Traditionalisten
und Modernisten als Pragmatismus und Opportunismus kritisiert.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven