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Irmtraud Fischer | Das Exodus-Paradigma
vor den Nachstellungen Salomos (1 Kön 11,40) und in der politisch völlig
unsicheren Situation nach der Einnahme Jerusalems durch die Babyloni-
er fliehen nach 2 Kön 25,26 Menschen aus Sicherheitsgründen ebenso ins
Nachbarland und nehmen offenkundig Jeremia mit (Jer 43,1–7).
Nur Abenteurer verlassen ohne äußeren Anlass ihr Land. Alle anderen Men-
schen haben für ihr Auswandern triftige Gründe. Selbst Arbeitsmigration,
die immer in der Hoffnung auf bessere Bedingungen geschieht, bedarf des
Entschlusses zum Verlassen des Vertrauten, das immer auch einen biogra-
phischen Bruch darstellt, weil man seinen sozialen und häufig auch kul-
turellen Kontext zurücklässt. Der Mensch muss bereit sein, ins Ungewis-
se wegzugehen. Dies gilt umso mehr, wenn vor Ort Lebensgefahr herrscht
oder auch der Aufbruch selbst mit Gefahren verbunden ist. Der Wille zu
handeln gilt hier ungeachtet dessen, ob Menschen selbst die Initiative er-
greifen oder ob Gott eingreift, um zu retten. Wer in Lethargie verfällt, dem
kann nicht geholfen werden, auch von Gott nicht. Das zeigt anschaulich
die Judit-Erzählung, in der ab einem gewissen Zeitpunkt der Lebensgefahr
durch die Belagerung die Führungsschicht von Betulia paralysiert ist und
die Öffnung der belagerten Stadt beschließt, wenn nicht binnen fünf Tagen
Rettung eintrifft (Jdt 8,23–32). Die Ältesten ernten massive Schelte von der
initiativen Witwe Judit, die einen für sie selbst höchst riskanten Rettungs-
versuch plant. Nicht handeln zu wollen, bezeichnet sie als Gott versuchen
(8,11–27).
Damit wird klar, dass Rettung im Alten Testament in den seltensten Fäl-
len so dargestellt wird, dass Gott ganz ohne Zutun der Menschen aus einer
bedrückenden Situation befreit. Im Normalfall geschieht sie immer in Un-
terstützung menschlicher Bemühungen. Diese können von aktiven Befrei-
ungsschlägen bis zu passivem Widerstand gegen die Verhältnisse reichen.
Im Exodusbuch wird dies anschaulich an den beiden Hebammen Schifra
und Pua aufgezeigt, die sich dem Tötungsbefehl verweigern, sowie an der
Mutter und Schwester des Mose, die diesen Befehl zwar wortwörtlich aus-
führen und den Neugeborenen in den Nil werfen, dies aber in einer schwim-
menden, lebensrettenden Arche. Während in Ex 1–2 alle Frauen widerstän-
dig sind,11 von den Hebammen über die weibliche Verwandtschaft des Ret-
ters bis hin zur Königstochter, die nicht nur gegen den Vater, sondern auch
11 Zu den Frauen in der Auftakt-
erzählung zum Exodusbuch vgl.
Siebert-Hommes 1998.
Wer in Lethargie verfällt, dem kann nicht
geholfen werden, auch von Gott nicht.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven