Seite - 37 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
Bild der Seite - 37 -
Text der Seite - 37 -
38 | www.limina-graz.eu
Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
In allen Varianten konnte die Abwehr einer theologischen Hegemonie für
liberales Denken konsequent scheinen. Auf der politischen Bühne ist die
Kirche in jeder Konfessionsgestalt ein enormer Machtfaktor, anscheinend
ausgestattet mit der Autorität Gottes, aber bis weit ins 20. Jahrhundert auf
den Leitungsebenen gegen die Demokratie eingestellt. Freiheit wird im
Horizont radikaler Kirchen- und Religionskritik als Unabhängigkeit defi-
niert, als Wille und Möglichkeit der Selbstbestimmung, die nur eine Grenze
kennt, die Freiheit anderer Menschen – und heute hoffentlich auch die Be-
lastung des Ökosystems.
Wenn es aber in der Moderne enge Zusammenhänge zwischen der Frei-
heitsidee und der Religionskritik gibt, ist im Umkehrschluss zu fragen,
welche Theologie einen inneren Bezug zur Freiheit des Gewissens wie des
Glaubens begründet und welche Vorstellung von Freiheit in diesem Kon-
text entwickelt wird. Würde auf die erste Frage eine positive Antwort gelin-
gen, würde auch die zweite beantwortet werden können, weil Glaube und
Vernunft, Religion und Ethik, Anthropologie und Theologie in ein dialekti-
sches Entsprechungsverhältnis gebracht würden.
Freiheit wäre dann in der Einheit von Gottes-, Nächsten- und Selbstlie-
be zu erkennen, die Jesus (Mk 12,28–34 parr.) und Paulus (Röm 13,8–10)
als Erfüllung des Gesetzes gesehen haben. Wo diese Antwort überzeugt,
braucht die moderne Freiheitsgeschichte nicht horizontal abgeschottet zu
werden, sondern kann sich vertikal öffnen. Gelänge dies, würde die Reli-
gion, der Kantischen Kritik eingedenk, einschließlich der Spiritualität, des
Kultes und des Dogmas in den Kompetenzbereich der Vernunft einbezogen,
ohne rationalistisch verkürzt zu werden; im gleichen Zuge würde die Ethik,
die Kant als autonome zu konstruieren versucht hat, in einer relationalen
Theozentrik das Universalisierungsgebot mit einer reflektierten Positio-
nalität vermitteln können. Aber ob die Antwort überzeugt, die Freiheit und
Liebe verbindet, ist keineswegs ausgemacht, weil der Verdacht im Raum
steht, Freiheit würde in der Bibel nur äquivok zur modernen Emanzipati-
onsgeschichte gebraucht.
Bei der Suche nach einer Antwort ist die Exegese gefragt. Sie ist von den
philosophischen und systematisch-theologischen Debatten nicht unbe-
einflusst, kann sie aber durch den methodisch kontrollierten Umgang mit
den biblischen Texten vertiefen. Ohne die Heilige Schrift gäbe es gar kein
Welche Theologie begründet einen inneren Bezug
zur Freiheit des Gewissens wie des Glaubens?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven