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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
phie (Schwemmer 2008). Er ist aber eine Mitgift der biblischen Theologie
für den heutigen Diskurs (Honnefelder 2007), in dem die Gewissensfrei-
heit eng mit der Meinungs- und Religionsfreiheit verflochten ist (Schröder
2007). Beim Begriff des Gewissens kehrt also die gleiche Frage wie beim
Begriff der Freiheit wieder: ob die Prägung des Begriffs durch den Glauben
seinen Sinn verfälscht oder vertieft.
Paulus spricht vom Gewissen sowohl im Blick auf Gläubige als auch im Blick
auf Heiden: und zwar solche, die noch nie vom Evangelium gehört haben,
und solche, die es zu hören beginnen.
Das Gewissen der Gläubigen
Im Römerbrief schreibt Paulus, dass die Gläubigen die staatliche Macht,
als von Gott gesetzte Herrschaft der Gerechtigkeit verpflichtet, anerken-
nen und unterstützen sollen, auch durch das Steuerzahlen (Röm 13,1–7).
Diese Anerkennung soll „nicht des Zornes, sondern des Gewissens wegen“
erfolgen (Röm 13,5). Der „Zorn“ wird in der Exegese teils auf Gott, teils
auf den Kaiser bezogen. Im ersten Fall würde der Glaube als Phänomen der
Angst gezeichnet, im zweiten die Zustimmung als Zwangshandlung erfol-
gen. Beides widerspräche der Freiheit des Glaubens. Das „Gewissen“ hin-
gegen, in dem die Zustimmung erfolgen soll, ist der Ort und der Antrieb
einer überlegten Entscheidung, die das Recht Gottes in ein differenziertes,
aber im Ansatz konstruktives Verhältnis zur politischen Herrschaft setzt.
Was Paulus freilich an dieser Stelle vermissen lässt, ist ein Rekurs auf das
Gewissen, das gebietet, einem Unrechtsregime Widerstand zu leisten. Des-
halb ist die Auslegungsgeschichte von Röm 13,1–7 über weite Strecken
fatal (Wilckens 1983, 43–66). Allerdings entsteht die Deutung, die Unter-
würfigkeit geboten sieht, durch einen doppelten hermeneutischen Fehler:
Einerseits wird der Passus aus seinem literarischen und historischen Zu-
sammenhang gerissen und zu einer Art staatstheologischer Grundsatz-
erklärung hochstilisiert, die Paulus nicht intendiert hat; andererseits wird
der Schlüsselbegriff der exousia (lateinisch: potestas) nur formal bestimmt,
als Fähigkeit, den eigenen Willen gegenüber anderen durchzusetzen, auch
wenn sie widerstreben, nicht aber inhaltlich, wie es dem neutestament-
lichen Vokabular entspricht: als von Gott verliehene Macht, der Gerech-
Das Gewissen: Ort einer überlegten Entscheidung, die das Recht Gottes
in ein konstruktives Verhältnis zur politischen Herrschaft setzt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven