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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
tigkeit auch gegen Widerstände zum Durchbruch zu verhelfen. Folgt man
der Apostelgeschichte, hat Paulus nicht im Leben daran gedacht, seine
Freiheitsrechte nicht zu verteidigen, auch vor Gericht (Omerzu 2002), und
nach Lukas durchaus mit Berufung auf sein Gewissen (Apg 23,1).
In der korinthischen Korrespondenz spricht Paulus vom Gewissen der
Gläubigen auch im Blick auf innerkirchliche Prozesse. Es zeigt sich, dass
dort derselbe Gewissensbegriff vorliegt wie im Römerbrief, der in Korinth
geschrieben worden ist. Wie dort geht es um eine Urteilsinstanz, die für die
Person, die sie trifft, grundlegende Bedeutung hat; wie dort geht es um Al-
ternativen, denen man nicht ausweichen kann; wie dort geht es um Ent-
scheidungen, die weitreichende Konsequenzen haben.
Im Ersten Korintherbrief sorgt Paulus sich um das „Gewissen“ der „schwa-
chen“ Gläubigen, die durch die „Freiheit“ der „Starken“ (zu denen der
Apostel sich selbst zählt) nicht verführt werden dürfen, am Evangelium
„Anstoß“ zu nehmen, heißt: gegen ihr Gewissen, gegen die eigenen Glau-
bensüberzeugungen, zu handeln und am Ende vom Glauben abzufallen
(1 Kor 8–10). Das Thema ist „Götzenopferfleisch“, ein Paradebeispiel für
die Frage nach der Beteiligung der Christen am öffentlichen Leben, das
durch Religion tief geprägt ist, wenngleich die Götterverehrung eher Loya-
lität als Bekenntnis zum Ausdruck gebracht hat (Linke 2014). Das Gewissen
eines anderen Menschen muss in jedem Fall geachtet werden – auch im
eigenen Gewissen. Es kann irren oder, wie in diesem Fall, schwach sein. Das
Recht, das es begründet, ist aber nicht schwach und irrt nicht. Es ist ein
moralisches Recht, das theologisch begründet ist. Für diejenigen, die über
ein starkes, ein gebildetes, ein freies Gewissen verfügen, gilt desto mehr,
dass sie ihre Freiheit nicht auf Kosten derer ausleben, für die Jesus Christus
gestorben ist (1 Kor 8,11) – ebenso wie für die eigene Person.
Im Zweiten Korintherbrief spricht Paulus – angesichts harter Auseinan-
dersetzungen, die er mit den Korinthern über den Stil seines Apostolates zu
führen hat – von der Rechenschaft, die er als Apostel ablegt, nicht nur vor
Gott, sondern auch vor den Korinthern. Deshalb appelliert er an ihr Gewis-
sen (2
Kor 5,11). Seine Zuversicht: Wenn sie auf die moralische und religiöse
Instanz, die ihnen eigen ist, hören, ohne sich von anderen Stimmen irri-
tieren zu lassen, müssen und werden sie erkennen, wie unbestechlich und
wegweisend die paulinische Verkündigung ist, gerade weil sie nicht aufs
Überreden, sondern aufs Überzeugen setzt und mit dem Gewissen ein Or-
gan des Hörens, des Nachdenkens und der Vergewisserung anspricht, das
den Menschen selbst auszeichnet, unvertretbar, unverwechselbar, unver-
äußerlich. „Gewissen“ steht hier im Plural, weil alle Gemeindemitglieder
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven