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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
von Jesu Tod und Auferweckung ist – sie befreit (2 Kor 3,17). Der Ort dieser
Befreiung ist das Gewissen. Im Gewissen wird klar, dass Befreiung nicht
Fremd-, sondern inspirierte Selbstbestimmung ist.
Paulus weiß, dass er nicht nur die Freiheit des Glaubens achten muss, wenn
er als Missionar Jesu Christi wirkt; er sieht diese Freiheit auch als die Form,
die der Glaube findet. Das Gewissen der Heiden, an die Paulus im Zwei-
ten Korintherbrief denkt, ist die Andockstation für die Verkündigung des
Evangeliums; im Gewissen nehmen die Hörer das Wort Gottes als ihr eige-
nes auf. Umgekehrt heißt dies, dass weder die Verkündigung des Evangeli-
ums noch der Glaube, auf den sie aus ist, voraussetzungslos ist. So wie das
Evangelium Jesu Christi den Verheißungen der Prophetie entspricht (Röm
1,2), so kommt im Ja des Glaubens die Stimme des Gewissens zum Aus-
druck.
Im Umkehrschluss heißt dies, dass die Verkünder die Gewissensfreiheit de-
rer achten, ja fördern müssen, an die sie sich wenden. Paulus hat über ein
„Nein“ aus Gewissensgründen nur an einer einzigen Stelle nachgedacht:
beim Widerspruch der Juden, der aus „Eifer für Gott“ resultiert (Röm 10,2),
weil der Monotheismus Israels nicht mit der Christuserkenntnis des Glau-
bens in Übereinstimmung gebracht wird. Wer hermeneutisch mit Paulus
über Paulus hinauszugehen bereit ist, wird den theologischen Fokus des
Apostels auf Israel rekonstruieren und die Weitung der Gewissensthematik
auch für die Heiden nachvollziehen können, nur dass dann schöpfungs-
theologisch argumentiert werden muss, während dort geschichtstheolo-
gisch argumentiert wird.
Im Römerbrief spricht Paulus vom Gewissen der Heiden dort, wo er argu-
mentiert, dass Gott in seiner Gerechtigkeit mit heiligem Zorn auf die Sünde
von Juden und Heiden reagiert (Röm 1,19
–
3,20). Dieser Zorn wird in Jesus
Christus durch Gottes rettende Macht verwunden (Röm 1,16f.). Aber er ist
deshalb nicht ungeschehen gemacht, sondern in derselben Gerechtigkeit
begründet, die zur Rechtfertigung der Gläubigen, zur Rettung ganz Israels
und zur Erlösung des Kosmos führt. Um die Gerechtigkeit des Zornes Got-
tes und die Erlösungsbedürftigkeit eines jeden Menschen zu begründen,
argumentiert Paulus mit der ethischen Verantwortung, die alle Menschen
haben. Sie alle haben einen moralischen und religiösen Kompass – dem
sie aber nicht folgen, obgleich sie es könnten und sollten. Die Juden haben
zwar die Tora, halten sie aber nicht (Röm 2,17–29); die Heiden haben ihr
Im Ja des Glaubens kommt die Stimme des Gewissens zum Ausdruck.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven