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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
Gewissen – und verstoßen dagegen (Röm 2,12–16). Deshalb sind beide, Ju-
den wie Heiden, auf die Gnade der Rechtfertigung angewiesen, die im Glau-
ben angenommen werden kann.
Das Gesetz thematisiert Paulus in diesem Argument nicht als eine Kraft,
die zum SĂĽndigen verfĂĽhrt, weil es heilig ist und das Vorrecht Gottes wahrt
(wie in Röm 7), sondern als Urkunde des Willens Gottes, sowohl seines
Heils- als auch seines Gestaltungswillens, der Israel das Leben im Land der
VerheiĂźungen bahnen soll. Wie es scheint, hat Paulus nicht nur, aber vor
allem an den Dekalog und an das Liebesgebot gedacht (vgl. Röm 13,8–10).
Die Offenbarung des Gesetzes gehört zu den heilsgeschichtlichen Privile-
gien Israels (vgl. Röm 9,1–5), die eine besondere Sendung, aber auch eine
spezifische Verantwortung der Juden begrĂĽnden. Paulus, der Jude, arbeitet
heraus, wie vergeblich es wäre, sich darauf berufen zu wollen, durch die
Aufstellung des Gesetzes von Gott ausgezeichnet zu sein, wenn keine Taten
folgen.
Diese Kritik ist keine antijĂĽdische Invektive, zu der die Passage in der
christlichen Auslegung oft gemacht worden ist, sondern genuin jĂĽdisch:
Ausdruck reflektierter Selbstkritik in der Hoffnung auf eine Alternative,
die Gott selbst mit der Sendung des Messias schafft. Die Kritik, die Paulus
übt, ist die Kehrseite einer grandiosen Aussicht: dass nämlich Gott selbst
als Lehrer seines Volkes das Gesetz den Menschen ins Herz schreibt, so
dass es ihnen nicht als äußere Autorität begegnet, sondern als innerer An-
trieb zuteilwird; das ist die Verheißung des Neuen Bundes (Jer 31,31–34),
der Bewegung in die Gottesgeschichte Israels bringt, weil er nicht in einer
bestimmten Situation aufgeht, sondern immer neue Horizonte öffnet (Fi-
scher 2005, 172–176). In dieser Perspektive nimmt auch Paulus das Motiv
auf: Der Neue Bund ist der Bund der Freiheit, weil er, der Tora gemäß, vom
Geist Gottes erfĂĽllt ist (2Â
Kor 3,6–17), so dass die Gläubigen erkennen, dass
Gottes Licht im eigenen Herzen entzündet worden ist (2 Kor 3,18 – 4,6);
das Letzte Abendmahl ist die Feier dieses Neuen Bundes, den Jesus durch
die Hingabe seines Lebens gestiftet hat (1Â
Kor 11,23–26).
Um die Verbindlichkeit des Gewissens zu unterstreichen und damit die
Heiden nicht aus der Verantwortung zu entlassen, verbindet Paulus es in
Röm 2 mit dem „Gesetz“. Der Bezug zur Tora ist dialektisch: Es gibt keine
Identität, aber eine Analogie, weil auch das, was das Gewissen den Heiden
sagt, verbindlich ist und weil die Tora nach Paulus (der mitten im Juden-
Auch das, was das Gewissen den Heiden sagt, ist verbindlich.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven