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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
(Gen 1,26f.) kompatibel sein soll und eine große Koalition mit der Philo-
sophie begründet, auch wenn der Begriff der Natur selbst ebenso strittig
bleiben wird wie die anthropologischen und ethischen Konkretionen.
Für Paulus ist das Gewissen, dessen Ruf Gesetz ist, keine formale Möglich-
keit, so oder so zu entscheiden, sondern eine Gabe des Schöpfers, die ange-
nommen und gebraucht werden soll. In Röm 2 redet er nicht vom irrenden,
sondern vom gebietenden und richtenden Gewissen. Der Apostel hat kei-
nen Zweifel, dass der Kompass des Gewissens auf das Rechte, das Gerechte
und Gute zeigt und dass Sünde immer ein Verstoß gegen das Gewissen ist,
das gerade deshalb geschützt werden muss. Er denkt nicht, dass das Gewis-
sen etwas gebieten kann, was gegen die Natur (physis) geht, die für ihn die
Schöpfungsordnung Gottes ist; er redet von Autonomie, weil das Gewissen,
das zur Geschöpflichkeit aller Menschen gehört, ihnen gebietet, zu tun,
was es sagt, und im Streit gerecht beurteilt, was sie getan haben. Das Gesetz
hat allerdings keine Kraft, der Macht der Sünde zu widerstehen. Es klagt
an, aber es kann nicht bewirken, seinem Ruf zu folgen. Im Gegenteil: In
ihrem Gewissen wird den Menschen nicht nur klar, was sie tun sollen, son-
dern auch, was sie tatsächlich getan haben. Daraus resultiert ein Dilemma,
strukturanalog zu dem, was nach Röm 7 Adam, also jedem Menschen wi-
derfährt, der mit dem Gesetz, dem Gebot Gottes, konfrontiert wird.
In Röm 2 schreibt Paulus über das Gewissen der Heiden, die Gottes Ge-
schöpfe sind, aber nicht an Gott glauben. Es gibt kein spezielles Gewissen
für Heiden oder für Juden und für Christen. Es gibt nur ein Gewissen – in
jedem einzelnen Menschen. Dieses Gewissen wird unterschiedlich gebildet;
es wird durch Religion und Kultur beeinflusst. Es kann stark oder schwach
sein. Aber es ist ein Organ der Gottesebenbildlichkeit des Menschen – ob
Mann oder Frau, jung oder alt, Sklave oder Freier, macht keinen entschei-
denden Unterschied. Aus diesem Grund kann das Gewissen auch das Organ
sein, Gottes Wort zu hören – wenn der Geist Gottes am Werk ist (2
Kor 4,2).
Dieses Gewissen wird nicht etwa verbogen, sondern kommt als es selbst
zur Wirkung, wenn im Glauben beurteilt werden muss, was wahre und
falsche Lehre, echter und unechter Dienst ist. Immer ist es Gott, der das
Gewissen schenkt und schärft; immer ist es das Gewissen, das unter den
Menschen gebildet werden muss, so dass es das Gute erkennt und nicht nur
Das Gewissen ist ein Organ der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen –
ob Mann oder Frau, jung oder alt, Sklave oder Freier.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven