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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
den Übertreter anklagt, sondern auch den Gerechten motiviert, der Stimme
des Gewissens zu folgen – in Freiheit.
Die Autonomie des Gewissens wird durch den Glauben an das Evangelium
nicht etwa obsolet, sondern relevant. Sie kommt zum Bewusstsein ihrer
selbst. Sie weiß um ihre Schwäche, Wollen in Handeln zu übertragen, ohne
deshalb in Verzweiflung zu verfallen. Sie weiß sich von Gott angenommen
und im Einklang mit dem Gesetz gebildet, ohne daraus Ansprüche vor Gott
abzuleiten. Sie weiß sich aufgehoben und bestärkt in der Kraft des Geistes,
ohne die Versuchung zum Bösen zu unterschätzen. Die Freiheit des Glau-
bens setzt die Freiheit des Gewissens voraus. Die Gewissensfreiheit findet
in der Glaubensfreiheit zur Einheit von Gottes- und Nächstenliebe.
Die Orientierung des Glaubens
Der Sache nach spricht Paulus von der Freiheit des Gewissens – aber nicht
dem Wort nach. Freiheit sieht er nicht nur als Möglichkeit, sich zu ent-
scheiden, sondern als eine Gabe Gottes, die angenommen sein will, damit
sie genutzt werden kann. Deshalb ist die Freiheit für ihn eine Heilsgabe (Gal
5,1.13). Diese Perspektivierung schließt nicht aus, dass Paulus die morali-
sche Verantwortung betont, die ein Mensch auch dann zu tragen hat, wenn
er nie vom Gesetz oder vom Evangelium gehört haben sollte – oder seine
Gründe hat, das eine wie das andere abzulehnen. Doch die Theologie des
Gewissens von Heiden und Christen zeigt, dass es keinen scharfen Kon-
trast, sondern eine innere Einheit gibt, die freilich die eines tiefgreifenden
Wandels, einer echten Konversion, einer begnadeten Lebenswende ist.
Neben dem Galaterbrief ist der – gleichfalls rechtfertigungstheologisch
orientierte – Römerbrief ein Hauptzeuge der paulinischen Freiheitstheo-
logie. Die politischen Dimensionen stehen dem Apostel deutlich vor Augen .
Genau deshalb entwickelt er, was ihm Freiheit ist, theologisch. Gott schenkt
die Freiheit – so dass sie der Menschen eigene Freiheit ist, die sie verspie-
len, wenn sie sündigen, und gewinnen, wenn sie Gott und den Nächsten
lieben.
An zwei Stellen führt Paulus diese Theologie der Freiheit weiter aus: zum
einen im Anschluss an seine Theologie der Taufe (Röm 6,1–11), da es ihm
Freiheit sieht Paulus als eine Gabe Gottes, die angenommen
sein will, damit sie genutzt werden kann.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven