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Gunda Werner | Freiheit und Sünde
Trienter Konzils. (Vgl. ausführlicher Werner 2017c) Luther ist zutiefst da-
von überzeugt, „dass der Mensch vor Gott ein Sünder ist“ (Ansorge 2009,
378). Das Sünder-Sein ist dabei dem Menschen in seinem Wesen innewoh-
nend und nicht nur hinzugefügt. Deswegen ist es allein der Barmherzigkeit
Gottes zu verdanken, dass sowohl die Schöpfung als auch der in ihr lebende
Mensch fortbestehen. Dieser Mensch ist für Luther im Bild des in-sich-
verkrümmten Menschen am besten beschrieben. Damit übernimmt Luther
die klassische Vorstellung, dass Sünde eine Abwendung von Gott und eine
Hinwendung zum Menschen ist. Das „Wesen der Sünde [ist] als Unglauben
gekennzeichnet.“ (Pröpper 2011, 1061) Für Luther sind bereits die Begierde
im Menschen selbst als Sünde zu verstehen und die Freiheit, der freie Wille
restlos ausgelöscht.
Wenngleich Luthers Erfahrung in seinem persönlichen Glaubensleben ihn
eher veranlassen hätte können zu glauben, dass Gott nicht rettend han-
delt, glaubt Luther an einen Gott, der rettet und den Sünder/ die Sünde-
rin rechtfertigt im Kreuz Jesu. Weil Luther sich von der Frage leiten lässt,
wie es kommen kann, dass Gott angesichts der Sünde rettet, kommt er zu
Einsicht, dass es eben Gott alleine ist, der dies tut. Damit aber setzt sich
Luther theologisch in Differenz zur Scholastik. In scholastischen Disputen
wird Gnade als eine Qualität oder ein Habitus der Seele verstanden. Luther
hingegen transformiert diese Vorstellung dergestalt, dass die Gnade die
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes zugleich ist, darin ist sie blei-
bend unverdient und zugleich rechtfertigend. (Vgl. WA 3, 47, 11–16) Des-
wegen versteht Luther den Menschen als gerechtfertigt und als sündig, er
ist simul justus et peccator. Weil auch die Reue den Menschen nicht rettet, ist
der Mensch ganz und gar auf die Gnade angewiesen. Diese Konsequenz re-
formatorischer Theologie ist so zu verstehen, dass unter allen Umständen
die Idee verhindert werden sollte, die Gnade Gottes könnte erkauft werden.
Damit ist aber jedes Mitwirken des Menschen an der Gnade und der Erlö-
sung ausgeschlossen; gegen Erasmus formuliert, so Martin Laube, ist die
Freiheit bei Luther geradezu eine „Freiheit von der Freiheit“ (Ohst 2014,
100).
Die noch vor dem Konzil von Trient (1545–1563), nämlich im Jahr 1524,
veröffentlichte Schrift von Erasmus, De libero Arbitrio diatribe, rekonstru-
iert sowohl biblische und altkirchliche Argumente für die Willensfreiheit,
Schrift Scito te ipsum explizit die
Sünde an die Freiheit des Menschen
zurückbindet und konsequent dann
eben auch nur solche Taten als
Sünde denken kann, die gewusst
und willentlich begangen werden.
„Diese Zustimmung aber nennen
wir im eigentlichen Sinn Sünde, d. h.
Schuld der Seele, durch die sie die
Verdammnis verdient und bei Gott
haftbar wird.“ (Abaelardus, 155)
Abaelard also war überzeugt, so
Ilgner in der Einleitung, „dass kei-
neswegs jede gute Tat einen Akt der
Gnade voraussetzt, sondern dass das
allgemeine Gnadenangebot, das Gott
guten und bösen Menschen im Glau-
ben macht, zur eigenen Anstrengung
herausfordert, und dass das von Gott
verliehene freie sittliche Entschei-
dungsvermögen (liberum arbitrium)
ihn dazu befähigt“ (Ilgner 2011,
24–25). Bei Luther ist jedes Mitwirken des Menschen an der Erlösung ausgeschlossen.
Seine Freiheit ist geradezu eine „Freiheit von der Freiheit“.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven