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Gunda Werner | Freiheit und Sünde
als auch polemisiert sie zunehmend gegen die immer radikaler werdende
Auffassung Luthers von einer Verneinung der Willensfreiheit. Für Eras-
mus gibt es hinreichende Stellen in der Tradition und der Bibel, die für die
Würde des Menschen gerade in der Freiheit zum Guten sprechen. Auf diese
Freiheit zu verzichten ist für Erasmus aber vor allem moraltheologisch un-
logisch: Ohne Freiheit gäbe es keine Verantwortung, ohne Verantwortung
keinen Schuldigen.
„Wenn der Mensch nun nichts zu tun vermöchte, dann wäre kein Raum
für Verdienst und Schuld; und wo kein Raum für Verdienst und Schuld
wäre, da wäre auch kein Raum für Strafe und Lohn. Wenn andererseits
der Mensch das Ganze täte, dann wäre kein Raum für die Gnade, die
Paulus sehr oft erwähnt und betont.“ (IIIa.17)
Gott wendet sich mit seiner Gnade dem Menschen so zu, dass dieser sie er-
greifen kann, und zwar in Freiheit! Denn der Mensch kann die Gnade auch
verweigern, wenngleich dies als Schuld zu denken ist, durch die der Mensch
zugrunde geht. In seiner Streitschrift muss Erasmus ein Zweifaches schaf-
fen: Er muss sich von Pelagius, der dem freien Willen zu viel, und von Lu-
ther, der dem freien Willen zu wenig zutraut, abgrenzen. Erasmus traut
dem freien Willen durchaus einiges zu, der Gnade aber das Meiste (IV.16).
Erasmus erhält die Freiheit um der Verantwortung und der Gnade willen
und braucht deswegen die Denkmöglichkeit des freien Willens. Luther hin-
gegen versteht den Menschen als durch die Ursünde so korrumpiert, dass
er nur durch die Gnade gerechtfertigt wird.
Durch die Notwendigkeit, grundlegende theologische Streitfragen zu klä-
ren, nimmt das Konzil von Trient eine Schlüsselposition in der Ausein-
andersetzung um das Verständnis von Sünde und Freiheit ein. Das Konzil
ist meines Erachtens deswegen dezidiert als „Drehscheibe der Neuzeit“
(Werner 2016b, 56) zu verstehen, weil sich genuin neuzeitliche Motive her-
auskristallisieren lassen, so die subjektiven Anteile des Menschen. Zudem
ist auf dem Konzil im Blick auf die Freiheit, die Sünde und die Rechtferti-
gung eine eigenständige theologische Position erarbeitet worden. Die für
das Thema der Freiheit neuralgischen theologischen Streitsachen liegen ja
alle in der Umlaufbahn der Sünden-Gnaden-Thematik: die Frage nach der
Das Konzil von Trient als „Drehscheibe der Neuzeit“ verbindet
die Fragen nach Freiheit, Sünde und Rechtfertigung.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven