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Gunda Werner | Freiheit und Sünde
diese Kurskorrektur wird aber vor allem in Erinnerung gerufen, dass an der
Freiheit viel hängt, nämlich auch der Vollzug des Glaubens. Vor allem wird
die Denkbarkeit der freien Handlung aufrechterhalten. Jedoch wurde auch
auf dem Konzil von Trient weder die Frage nach dem freien Willen noch
jene nach der Disposition des Menschen zur rechtfertigenden Gnade in der
Reue abschließend geklärt, denn anders lassen sich die Auseinanderset-
zungen um die Gnade und die Reue in den nachfolgenden Jahrhunderten
nicht erklären.7
Das Konzil verhält sich zudem als erstes lehramtliches Dokument zur Ver-
erbungskategorie der Erbsünde. (Pröpper 2001, 1071) Jedoch wird im Erb-
sündendekret im Kanon 3 nur beschrieben, dass die Erbsünde durch pro-
pagatione non imitatione weitergegeben wird. Der ursprüngliche Vorschlag
von generatione wurde nicht gewählt, sondern die vage Vorstellung der
Fortplanzung. Die Sünde Adams ist also in jedem Menschen zu denken und
zugleich die Sünde eines jeden Menschen. Auf diese Weise ist „eine Fest-
legung auf Augustins Übertragungstheorie [zu] verhindern und überhaupt
allzu sexuelle Konnotationen [zu] vermeiden“ (Pröpper 2001, 1078). Des-
wegen ist die Betonung so wichtig, dass die Konkupiszenz selbst noch kei-
ne Sünde ist und die Sünde folglich der Natur nicht prädiziert ist. Durch
die Taufgnade, so das Konzil von Trient, wird die „Strafwürdigkeit der
Ursünde“ wirklich vergeben, also nicht nur „abgekratzt“ oder nur nicht
„angerechnet“ (DH 1515). Thomas Pröpper sieht die Leistung des Konzils
darin, „den Schuldcharakter des peccatum originale nun endlich auch ter-
minologisch eindeutig [als] (reatum)“, also als Schuld bezeichnen zu kön-
nen. (Pröpper 2001, 1073) Allerdings ist die vage Konstruktion des Konzils
von Trient immer noch eine Erb
kategorie, die in der Aufklärung und allem
voran in der Religionsschrift von Imma
nuel Kant radikal kritisiert und de-
konstruiert wird.
2 Freiheit und Moderne
a) Philosophische Hartnäckigkeit
Die Auseinandersetzung um die Sünde und die Freiheit verschiebt sich zum
Ende der Neuzeit und in der beginnenden Moderne von der Diskussion um
die Willensfreiheit zunächst zur Frage nach der Autonomie des Menschen.
In der philosophischen Debatte wird zudem die Differenz von Sünde und
Schuld trennschärfer, so dass spätestens mit Søren Kierkegaard gesagt
7 Vgl. den ‚Reuestreit‘ und den
‚Gnadenstreit‘, dazu u. a. Werner
2017b.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven