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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
Ăśberzeugungen heraus einen besonderen Modus annehmen kann. Zu beto-
nen ist dabei, dass die Argumentation dennoch eine philosophische bleiben
soll und sich nicht – wie in der Theologie – auf Vorgaben aus Offenbarung
stĂĽtzen darf. Ziel der Untersuchung wird es sein, den ambivalenten Cha-
rakter freizulegen, der eine nicht unwesentliche Schwierigkeit religiöser
Freiheit markiert, nämlich die ihr innewohnende Aporie von Hoffnung und
Gewalt.
Spielraum der Zeit
Bevor auf Schwierigkeiten religiöser Freiheit zurückzukommen ist, muss
zunächst auf eine Dimension Bezug genommen werden, an der sich einige
Merkmale nicht nur für Freiheit allgemein, sondern auch für religiöse Frei-
heit im Besonderen ablesen lassen, nämlich auf den temporalen Charakter
von Freiheit. Wie Martin Heidegger im § 53 von Sein und Zeit aufgezeigt hat,
ist das menschliche Dasein zwar zunächst so auf den eigenen Tod bezo-
gen, dass man sich bewusst macht, dass alles Lebendige und daher auch
alle Menschen einmal nicht mehr leben werden. Ein solcher Bezug zum Tod
würde aber bedeuten, dass der eigene Tod verdrängt oder gedanklich so hi-
nausgeschoben wird, dass es möglich ist, eine Strategie zu entwerfen, die
die eigene Sterblichkeit erträglicher, weil diffuser macht. Was Hei degger
dagegen als „Sein zum Tode“ (Heidegger 1977, 353) bezeichnet, ist die
Ausgerichtetheit des Daseins auf den eigenen Tod, die nur verdrängt wer-
den kann, wenn man die Höhe eigentlicher Existenz unterbietet und – wie
Heidegger schreibt – an das „Man“ verfällt. Demgegenüber gehöre zum
menschlichen Dasein unweigerlich das „Vorlaufen zum unbestimmt ge-
wissen Tode“, das den faktischen eigenen Tod nicht ausblendet, sondern
die „Bedrohung seiner selbst“ gerade offenhält und ihr im Leben Rechnung
trägt, sodass man sich also der eigenen Angst vor dem Tod stellt. (Hei-
degger 1977, 352; Kursiv. im Orig.)
Insofern die eigene Existenz die Möglichkeit enthält, einmal nicht mehr zu
sein, ohne dass bekannt wäre, wann genau der Tod eintreten wird, steht
das menschliche Dasein beständig vor dem Tod als der letzten Möglichkeit,
ganz werden zu können, und vor der Möglichkeit oder nach Heidegger so-
gar vor der Forderung, das eigene Leben „eigentlich“ und „entschlossen“
Tod: letzte Freiheitstat oder „nicht mehr können können“?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven