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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
mag auch der Grund dafür sein, dass es absurd anmutet, von „religiösen
Gehirnen“ zu sprechen, deren Freiheit – würden sie denn eine haben – als
religiöse Freiheit verstanden werden müsste.
Anerkennt man hingegen die Ambivalenz von Freiheit und bringt sie in re-
ligiöse Bezüge, stellen sich andere und schwieriger zu lösende Probleme,
die es im Folgenden zu reflektieren gilt.
Hoffnungsverweigerung
Wie bereits deutlich geworden ist, findet Freiheit im Tod nicht ihre letz-
te Grenze. Doch wie zeigt sich Freiheit in der „Ordnung des Religiösen“,
in der der Tod selbst nicht die absolute Schranke ist? Wie Paul Ricœur
darzulegen versucht, lässt sich religiöse Freiheit nicht abschließen, son-
dern nur als Gabe verstehen. (Orth 2009, 26) Ricœur nähert sich vor dem
Hintergrund des Freiheitsbegriffs – wie er für die Ethik Kants relevant
wird – der Frage nach der Freiheit im Zusammenhang des Religiösen an.
Dabei geht er zunächst von der Offenheit der Freiheit aus, „der Vorstellung
eines Gesetzes gemäß handeln und gegen die Pflicht verstoßen zu können
/
d’agir selon la représentation d’une loi et de passer outre à lʼobligation“
(Ricœur 1974a, 275/424). Damit ist es aber noch nicht getan. Denn es ist
auch möglich, gegen die eigene Einsicht zu handeln. Das bedeutet nach Kant,
dass sich der Wille trotz der Einsicht in das Gute verkehren kann und man
trotz der Erkenntnis und der Anerkennung der Pflicht diese oft nicht be-
folgt. Daraus folgert Kant: Es muss sich um die Annahme einer obersten
Maxime handeln, aus der der allgemein menschliche „Hang zum Bösen“
resultiert. Dieser ist für ihn die Folge einer „intelligibele[n] That, bloß
durch Vernunft“, die eine eine grundsätzliche Bestimmung des Menschen
nach sich zieht. (Kant 1914, 31)
Die Erkenntnis solcher Willkür, der er in seiner Schrift Die Religion innerhalb
der Grenzen der bloßen Vernunft weiter nachgeht, lässt Kant auf das tran-
szendental Böse stoßen. Ricœur seinerseits macht es zum Argument für
die Unabgeschlossenheit von Freiheit, da diese ein Vermögen und zugleich
ein Unvermögen sei. Man könne nicht nur pflichtgemäß handeln oder ge-
gen die Pflicht verstoßen, sondern sei zugleich im Bösen verfangen. Nach
Ricœur muss man sich eingestehen, dass „das Böse diese vorgängige Ge-
fangenschaft ist, die mich dazu bestimmt, daß ich gar nicht anders kann, als
Unfreiheit der Freiheit neben deren Vermögen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven