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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
sie aus Heilsgründen realisieren zu müssen. Wirklichkeit und Freiheit wer-
den zum Phantom.
Epistemische Universalisierung
Die Konfrontation nicht nur zwischen Theorien oder Thesen, sondern auch
zwischen Überzeugungen ereignet sich im besten Fall in Diskussionen, im
schlechtesten Fall im Krieg. Solche Grundsätze sind meist weltanschau-
licher, oft sogar religiöser Natur. Ihnen haftet meist das Problem an, dass
sie sich aus Letztbegründungen legitimieren, die Transzendenzbezüge
aufweisen. Wenn es stimmt, dass – wie Emmanuel Levinas meint – in die-
sem Sinn alle Kriege Religionskriege seien (Levinas 1992a, 182/334), wird
an dieser Behauptung eine weitere bedeutende Schwierigkeit religiöser
Freiheit sichtbar. Unendlichkeit, Unabgeschlossenheit und Unabschließ-
barkeit menschlichen Wissens provoziert dazu, sich für einen Universalis-
mus der Wahrheiten zu entscheiden, sich also von der Uneinholbarkeit der
Wirklichkeit zu dispensieren und auf diese Weise die Vorsicht, die episte-
mischer Vorläufigkeit eignet, aufzugeben. Sobald einzelne Überzeugungen
und das Bewusstsein über deren Vorläufigkeit in den Modus der Absolut-
heit transformiert werden, indem man partikulare Wahrheiten universali-
siert, schließt Freiheit die Lücken der Wahrheit. Noch bevor die Heils- und
die Erlösungskategorie ins Spiel kommen, entsteht ein Universalismus
von Wahrheiten, den nicht zuerst deren Letztbegründung hervorbringt,
sondern die Entscheidung, andere oder neue Einsichten nicht mehr gel-
ten zu lassen. Diese Gesetzmäßigkeit durchzieht auch die Logik des Krie-
ges, wenn Siegerinnen und Sieger von den Besiegten „Anerkennung und
Einverständnis / la reconnaissance et lʼaccord“ (Levinas 1992a, 182/334)
einfordern. Ein solcher Universalismus der Wahrheiten ist nicht notwendi-
gerweise zugleich ein Heilsuniversalismus. Denn Kriege werden nicht nur
geführt, um Gegner und Gegnerinnen zu retten, sondern vor allem, um sie
zu vernichten oder um ihre Gefolgschaft zu erzwingen.
Dies ist freilich erst der Beginn der Spirale der Gewalt. Sobald auf einen sol-
chen Universalismus der Wahrheiten abwertend reagiert wird, steigert sich
gewöhnlich Gewalt. Denn eigene Gewalt, die die gegnerische bekämpft und
sich gegen sie wendet, lässt in der Regel Gewalt eskalieren. Stehen sich am
Ein Universalismus der Wahrheiten ist nicht
notwendig ein Heilsuniversalismus.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven