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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
Verheerend wirkt sich eine solche Sakralisierung von Überzeugungen dann
aus, wenn diese auf andere Gewissheiten treffen, die ihrerseits ebenfalls
sakralisiert wurden. „Wenn Resakralisierungen nicht auf gewaltlose Be-
wegungen stoßen, sondern auch auf der Gegenseite Resakralisierungspro-
zesse auslösen, droht die Gewalt gleichsam zu explodieren.“ (Schelkshorn
2014, 259) Denn beide Seiten stehen unter einem vermeintlich unabänder-
lichen Anspruch, nicht mehr anders zu können, als einer im Transzenden-
ten letztbegründeten Überzeugung zu folgen. Der Antagonismus ist unver-
söhnlich geworden.
Im Unterschied dazu sieht Levinas eine Möglichkeit, das Heilige auch an-
ders zu denken, nämlich als vom Moment des Sakralen gereinigt und in
einen ethischen Kontext versetzt. Heiliges, das unabwendbarer Gewalt
entkommt, ist für ihn dann gegeben, wenn gegenüber allem Sakralen ein
„Atheismus/athéisme“ (Lévinas 1992b, 25/29) waltet, der solcher Verzau-
berung durch das Göttliche entkommt. Aus jüdischer Tradition kommend,
sieht er die Verehrung des Sakralen als Götzendienst an und setzt ihr den
ethischen Anspruch gegenüber, der vom Antlitz des anderen Menschen
ausgeht, in das seiner Auffassung nach das wahre Heilige eingeschrieben
ist. So kommt gegen ihr sakrales Verständnis eine andere Religiosität in
den Blick, die der Freiheit verpflichtet und deshalb in der Lage ist, sich dem
Numinosen gegenüber in Distanz zu setzen. Demnach ist gegen die Verfüh-
rung, Religion sakral misszuverstehen, eine Religion zu setzen, in der die
Freiheit des Menschen selbst durch Göttliches nicht unterminiert werden
kann (Plüss 2015, 154), sondern in der Lage ist, Fehlformen von Religion
in die Schranken zu weisen. Die Schwierigkeit solcher religiöser Freiheit
besteht darin, dass sie aus einer Differenz entsteht (Zeillinger 2015, 131),
die zu nivellieren eine nicht zu unterschätzende Versuchung für religiöse
Menschen bildet. Wird die Lücke geschlossen, verkommt das Heilige zum
Sakralen, und Freiheit wird abermals zum Phantom.
Fazit: Anruf des Guten
Wenn man heute trotz gegenteiliger naturwissenschaftlicher Versiche-
rungen an Freiheit festhält und nicht wie manche Neurobiologinnen und
Neurobiologen den Freiheitsbegriff als kulturelle Selbsttäuschung abtut,
ist mit der bloßen emphatischen Betonung der Existenz von Freiheit, ins-
besondere religiöser Freiheit, allerdings noch nicht allzu viel gewonnen.
Wie die Analysen gezeigt haben, steht der Begriff religiöser Freiheit näm-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven