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Hildegard Wustmans | Missbrauch – die Verspottung der Freiheit
als so schleichend wahrgenommen, weil die geistlichen Begleiter*innen
unhinterfragt den Betroffenen sowie ihrem sozialen Umfeld als moralisch
integer und unbedingt vertrauenswürdig galten. Die am Beginn anziehen-
de Spiritualität und die überzeugten freundlichen Menschen erwiesen sich
erst nach und nach als eng im Denken und bestimmend im Handeln. (Vgl.
Wagner 2014, 28–29)2
Bei der Konferenz wurde weiterhin deutlich, dass sich einige der Teilneh-
menden ganz natürlich aus diesen Kontexten ausklinken konnten und da-
mit auch schnell das Interesse an ihnen z. B. von Seiten der Gemeinschaft
erlosch. Einige outeten sich aber als missbrauchte Menschen. Und damit
wurde allen Anwesenden klar, dass es diese dunkle Seite der Kirche auch in
unmittelbarer Nähe gibt.
Muster des Missbrauchs
Jede Form von Missbrauch überschreitet Grenzen und missachtet die Men-
schenwürde und das Recht auf freie Selbstbestimmung. Für den spirituel-
len Missbrauch gilt, dass er sich bei Menschen anbahnt, die sich in der Re-
gel in besonderen Lebenslagen und/oder Situationen der Bedürftigkeit be-
finden und auf der Suche nach Sinn und Perspektiven für das eigene Leben
sind. Den geistlichen Begleiter*innen wird in diesen Zu sammenhängen
zugetraut, dass sie Menschen auf ihrem individuellen spirituellen Weg
kenntnisreich begleiten und zu einer tieferen Begegnung mit Gott führen
können. Im wahrsten Sinn des Wortes überantwortet sich dabei jemand der
Autorität einer Person, der man zutraut, dass sie Hinweise und Vorschläge
unterbreitet, die so gut, überzeugend und damit richtig erscheinen, dass
man gar nicht umhin kann, sie zu befolgen.
Findet die geistliche Begleitung in einem „gesunden“ Setting statt, dann
handelt es sich dabei um eine Dreiecksbeziehung zwischen geistlicher Be-
gleiterin/geistlichem Begleiter, der zu begleitenden Person und Gott. Wenn
allerdings diese ursprüngliche Dreiecksbeziehung binär codiert wird,
bricht sich das Unheil Bahn. Denn dann erfolgt die „Verwechselung von
geistlichen Personen mit der Stimme Gottes“ (Mertes 2018, 35). Geistlicher
Missbrauch zeigt sich gerade darin,
2 Dieses Vorgehen ist auch unter
der Bezeichnung „Grooming“ (v. a.
aus dem Internet) bekannt und folgt
dem gleichen Muster: Vertrauen und
Nähe aufbauen, um schließlich zu
missbrauchen.
Die überzeugten freundlichen Menschen erwiesen sich
erst nach und nach als eng und bestimmend.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven