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Franz Winter | Hat neben Gottes Allmacht der freie Wille noch Platz?
Zugrundeliegende Konzepte im Koran
Vermutlich unter Einbezug vorislamischer Vorstellungen, in denen sehr
stark die konkrete zeitliche Begrenzung des Lebens (verbunden mit Be-
griffen wie dahr, zamÄn, âZeitâ, und ajal, âSpanneâ, âFristâ) und auch die
Ressourcen, die ihm zur VerfĂŒgung stehen (rizq, âVersorgungâ) als vor-
gegeben und -bestimmt aufgefasst wurden und dabei vor allem âZeitâ
(dahr, zamÄn) als ein gleichsam allem ĂŒbergeordneter Faktor entgegentrat,
finden sich im Koran einige wichtige Vorgaben zu diesem Themenkreis,
die spĂ€ter zu theologischer Entfaltung gefĂŒhrt wurden. Zentral ist dabei
der Gedanke, dass der nun mit der neuen VerkĂŒndigung durch Moham-
med eingefĂŒhrte persönliche Gott die absolute Instanz ĂŒber die genann-
ten Faktoren darstellt. So wird beispielsweise eine offensichtlich als rein
fatalistisch wahrgenommene BeschrÀnkung auf das diesseitige Leben, die
allein vom Faktor âZeitâ (dahr) bestimmt sei, heftig kritisiert (Sure 45, 24):
âUnd sie (die UnglĂ€ubigen) sagen: âEs gibt nur unser diesseitiges Leben.
Wir sterben und leben (in diesem Rahmen), und nur die Zeit [âŠ] lĂ€sst uns
zugrunde gehen.ââ DemgegenĂŒber wird die eschatologische Versicherung
eines bevorstehenden âTages der Auferstehungâ (yaum al-qiyÄma; Sure
45,26) als Verweis auf die Allmacht Gottes, eben auch ĂŒber Leben und Tod,
hervorgehoben und die konkrete Wirkung in der Endzeit und der bevorste-
henden Scheidung zwischen UnglÀubigen und GlÀubigen als eigentlicher
Referenzrahmen betont (und damit die alleinige Unterordnung unter den
Faktor âZeitâ abgewiesen; v. a. Sure 45,27â35).
AllfÀllige Determinismen sind also direkt mit dem Wirken und der Allmacht
Gottes zu verbinden und dĂŒrfen nicht als selbstĂ€ndige, unabhĂ€ngige Para-
meter interpretiert werden.
Zu einer bedeutenden Entfaltung kommen diese Ideen dann in Suren, die
man â wenn man den gĂ€ngigen Schemata der Chronologie der Entstehung
des Koran folgt â der zweiten und dritten mekkanischen Periode zurech-
net, wo schon deutlich die Konfrontation mit jĂŒdischen und christlichen
Vorstellungen in den Vordergrund rĂŒckt und der zuvor dominante Fokus
auf das apokalyptische Moment differenzierter ausgestaltet wird (Frolov
2002, 268f). Deutlich gemacht wird dies vor allem am Begriff ajal, was so-
viel wie die âLebensspanneâ bzw. âFristâ jedes Menschen bezeichnet, die
AllfÀllige Determinismen sind direkt mit dem Wirken und der Allmacht Gottes
zu verbinden und nicht als selbstÀndige, unabhÀngige Parameter zu interpretieren.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven