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Massimo Recalcati | Die Zerstörung des sozialen Bandes und die Hyperaktivität im Diskurs des Kapitalisten
züglich von einer „repressiven Toleranz“: Die Aufhebung der Notwendig-
keit von Sublimierung, welche das neue Zivilisationsprogramm eingeführt
hat, befreit nicht den Trieb, sondern unterwirft ihn dem Imperativ des
Konsums – auf Kosten der Transzendenz des Begehrens. Pasolini (1975)
hatte diese epochale Transformation des Kapitalismus als eine wirklich
„anthropo logische Mutation“ verstanden, die die Position des Subjektes
von jener des „Untertanen“ zu der des „Konsumenten“ neu bestimmt. Die
neue Macht braucht keine Untertanen mehr, sondern nur noch freie Konsu-
menten. Es ist nicht mehr das Ideal, das den Verzicht als Bedingung sank-
tioniert, damit das Subjekt in die Zivilisation aufgenommen wird. Vielmehr
ist es der Drang zum Genießen, der eine beispiellose Spaltung des Subjektes
animiert, welche nicht mehr in Beziehung zum Signifikanten und dessen
Gesetz steht, sondern nunmehr zum Objekt des Genießens, welches durch
die globalisierende Universalisierung des Marktes in illusorischer und un-
begrenzter Weise verfügbar gemacht wird.
Aus diesem Grund schließt die lacansche Algebra im Diskurs des Kapita-
listen das Verhältnis zwischen dem gespaltenen Subjekt und dem Objekt
klein a, anstatt es zu öffnen, wie es beim Subjekt des Unbewussten der Fall
ist. Das Objekt ist nicht verloren, es gibt keinen Hinweis auf einen Mangel,
sondern es konsolidiert sich auf illusorische Art und Weise, indem es sich
dauerhaft an das Subjekt hängt, als stets für Hand und Mund zur Verfü-
gung Stehendes. Die hyperaktive Maschine des Diskurses des Kapitalisten
bewegt sich immer zu schnell, stets unerbittlich, unaufhörlich: Sie reist
wie auf „zwei Rädern“ und erreicht eine Höllengeschwindigkeit, die das
Subjekt abschafft und die zutiefst ruinöse Seele dieses Diskurses offenbart.
Aus diesem Grund nimmt das gebarrte Subjekt in Lacans Formalisierung
des Diskurses des Kapitalisten die Position des „Agenten“ ein. Man kommt
nicht umhin, seine ironische Chiffre zu erfassen: kein Herr, keine Wurzel,
keine Schuld, keine Bindung, keine Kastration, die absolute Freiheit zu ge-
nießen. Doch in dieser Pseudo-Herrschaft des Subjektes, das auf sein Da-
sein des Genießens reduziert ist, in seiner „imaginären Freiheit“ (um den
treffenden Titel eines Werkes von Mauro Magatti [2009] über den tech-
no-nihilistischen Kapitalismus aufzunehmen) findet sich das Subjekt als
Sklave des Objektes wieder. Es geht um die Verkehrung der Positionen: Der
Die neue Macht braucht keine Untertanen mehr,
sondern nur noch freie Konsumenten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven