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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
Möglichkeiten und ihrem oftmals unbedachten Einsatz im Alltag entspre-
chen in der Beurteilung dieser Möglichkeiten oft zwei Positionen, die un-
versöhnlich scheinen. Während einige die technische Weiterentwicklung
begrüßen und ihre Forcierung fordern, stehen andere der zunehmenden
Implementation virtueller Räume in den Alltagsraum kritisch gegenüber.
Worauf beide Positionen oft beruhen, ist der Gedanke einer Unversöhn-
lichkeit der natürlichen, „echten“ Welt und der künstlich erzeugten, vir-
tuellen Welten.
Zwischen beiden steht der moderne Mensch als Wesen, das gefangen
in einer Pluralität von Welten hin und her gerissen ist. Der Mensch wird
dann etwa als ein Gegenüber zum Virtuellen gesehen. Seine Zugehörigkeit
zu realen Räumen scheint durch die Virtualisierung seiner Lebensweisen
bedroht. Markus Hundeck etwa meint, dass das Zwischenmenschliche in
„den neuen Großräumen der Informationstechnologie, des Internets und
der Medienwirklichkeit“ (Hundeck 2003, 174) abhandengekommen sei,
und fasst dementsprechend den Einstieg in den Cyberspace als einen „Aus-
stieg aus der konkreten Realität“ (Hundeck 2003, 174) auf. Auf der anderen
Seite des Spektrums finden sich Positionen, die den Verlust der Bindungen
an die Wirklichkeit positiv bewerten und den Menschen als Cyborg verwirk-
licht sehen wollen (vgl. Haraway 1995, 35).
Die zunehmende Digitalisierung geht oft mit der Vorstellung eines gren-
zenlosen Fortschritts einher. Die Welt des Digitalen und des Virtuellen wird
dabei gleichgesetzt mit einem Raum, in dem per se alles möglich ist und
die Beschränkungen des Natürlichen nicht mehr gelten. Dabei drängen sich
entscheidende Fragen auf: Kann man die zunehmende Implementation
virtueller Räume in den gelebten Alltagsraum als grenzenlos und alles zu-
vor Unmögliche möglich machend verstehen? Ist der Begriff „Virtualität“
damit richtig erfasst? Können sich die Erzeuger virtueller Welten durch
Technik auch als Schöpfer in einem christlichen Sinn verstehen?
Die Prognosen, die man heute trifft, werden auch daran entschieden, wie
das Virtuelle aufgefasst wird. Worum man meiner Meinung nach nicht
mehr herumkommt, ist die Anerkennung der Tatsache, dass das Verbun-
den-Sein digital erzeugter Welten und der „echten“ Welt schon längst ge-
schehen ist.
Der moderne Mensch steht zwischen der natürlichen,
„echten“ Welt und künstlich erzeugten, virtuellen Welten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven