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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
in die Tiefe gehenden Schnitt gegenüber dem horizontalen der Differenzie-
rung dar, die das Virtuelle auf mannigfaltige Weise aktualisiert (vgl. Deleu-
ze 2007, 256). In der Differentiation entdeckt man so nicht das Digitale als
Aktualisiertes, sondern die Idee des Digitalen. Diese wichtige Unterschei-
dung unterläuft man, wenn man das Virtuelle einfach mit dem Digitalen
gleichsetzt. Das Virtuelle bei Deleuze hingegen ist ein universales Prinzip.
Ein Grundgedanke von Deleuze ist es, dass Lösungen und Probleme ein-
ander bedingen:
„Während die Differentiation den virtuellen Inhalt der Idee als Problem
bestimmt, drückt die Differenzierung die Aktualisierung dieses Virtuellen
und die Konstitution der Lösungen (durch lokale Integrationen) aus.“
(Deleuze 2007, 265)
Während Deleuze diesen Grundgedanken v. a. an den Bereichen der Mathe-
matik (Differenzialgleichung) und der Biologie (Ausbildung der Organe im
Organismus) veranschaulicht, kann er auch für die Frage nach dem Digita-
len und den digitalen Welten fruchtbar gemacht werden.
Ein Grundproblem, dem eine theoretisch-philosophische Betrachtung
des Digitalen begegnet, ist die Frage, wie der Binär-Code und die Daten-
verarbeitung durch Algorithmen simulierte Welten erzeugen können, die
in gewisser Weise eine vom Menschen erfahrbare Weltlichkeit aufweisen
können. Deleuzes Struktur-Denken kann hier Ausgangspunkt einer Ant-
wort sein. Denn wie Deleuze schreibt, ist die „Natur des Virtuellen […] so
beschaffen, daß Aktualisierung für es Differenzierung bedeutet“ (Deleuze
2007, 267). Dadurch ist es prinzipiell schon nicht möglich, dem Virtuellen
dieselbe Gegebenheitsweise einzuräumen wie dem Aktuellen. Solange man
im Abstrakten verbleibt und nicht die Lösungen in den lokalen Integratio-
nen sucht, sich also fragt, was ein Computer oder ein Netzwerk überhaupt
ist und wie sich das Digital-Virtuelle in diesen Geräten und dem Umgang
des Menschen mit ihnen aktualisiert, wird von Deleuze her auch nie eine
Beantwortung möglich sein. Es ist für ihn in diesem Aspekt entscheidend,
dass man das Virtuelle nicht mit dem Möglichen verwechselt.
Wie ist es möglich, durch Algorithmen simulierte Welten zu erzeugen,
die eine vom Menschen erfahrbare Weltlichkeit aufweisen können?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven