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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
tenverarbeitung an sich und der Datenvisualisierung für uns“ (Hartmann
2018, 120) führen. Das innere Funktionieren des Computers wird ebenso
unsichtbar gemacht wie der Mensch, da sich von beiden Seiten her nur ein
Aspekt aktualisiert. Für den User muss nur angezeigt werden, was zur Be-
dienung relevant ist, während der User ebenso nur das von sich sichtbar
machen muss, was es zum Bedienen braucht. Dieser unsichtbar-machende
Charakter des Interfaces ist aber keine spezielle Eigenschaft digitaler Me-
dien, sondern begegnet auch bei anderen Medien.
Maurice Merleau-Ponty kommt hier auf ein Beispiel in Bezug auf die Spra-
che zu sprechen, das eine Besonderheit digitaler Welten verdeutlicht. Was
das Lesen ermöglicht, das „Papier, die Buchstaben darauf, meine Augen
und mein Leib, sind nur mehr da als das für einen unsichtbaren Vorgang
erforderliche Minimum an Inszenierung“ (Merleau-Ponty 1974, 456).
Das Buch als Medium wird im Akt des Lesens in gewisser Weise unsicht-
bar, es wird, in der Terminologie von Deleuze, virtuell, um die Aktualität
der aus dem Buch heraustretenden und den/die Leser/in einnehmenden
Welt hervorzubringen und diese/n in diese Welt eintauchen zu lassen. Die
Zwischenstellung des Buches als Medium ist so real wie die Erfahrung der
durch das Buch erlebten Welt, doch das bedeutet nicht, dass beide im sel-
ben Maße bewusst sind: Es gibt hier ein sich ausschließendes und zugleich
bedingendes Verweisen der Buchstaben und der fiktiven Welt aufeinander.
Ebenso aber braucht das Entstehen der Welt der Geschichte ein bestimmtes
Vermögen (Lesen-Können), ohne welches das Buch unfähig bleibt, diese
Welt hervorzubringen:
„Ein Kinderbuch erzählt von der Enttäuschung eines kleinen Jungen, der
sich der Brille und des Buches der Großmutter bemächtigt hatte und nun
glaubte, selbst die Geschichten entdecken zu können, die sie ihm zu er-
zählen pflegte. Die Fabel endet mit den Versen: Wo ist denn die Geschich-
te? Ich bin genarrt! Ich sehe nichts als Schwarz mit Weiß gepaart! Für das
Kind sind die ‚Geschichte‘ und das Ausgedrückte keine ‚Ideen‘ oder ‚Be-
deutungen‘, Sprechen und Lesen keine ‚intellektuellen Leistungen‘. Die
Geschichte ist eine Welt, die es auf magische Weise zur Erscheinung zu
bringen möglich sein muß, indem man sich eine Brille aufsetzt und über
ein Buch beugt. (Merleau-Ponty 1974, 456–457)
Der unsichtbar-machende Charakter des Interfaces
ist keine spezielle Eigenschaft digitaler Medien.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven