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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
Husserl will darauf aufmerksam machen, dass der Leib Lokalisationsfeld
des Empfindens des ihm innewohnenden Individuums ist und somit Leib
und das ihm zugehörige Individuum nicht real voneinander zu trennen
sind. Der Leib ist sozusagen die räumliche Ausfaltung des Individuums,
welches das unmittelbar zugängliche „Hier-Sein“ in der Welt markiert.
Das Individuum selbst und sein Leib sind intrinsisch aufeinander bezogen;
während ich mich materiellen Objekten nähern oder mich von ihnen ent-
fernen und ich sie in mein Erfahrungsfeld eintreten lassen oder sie aus die-
sem entfernen kann, ist der Leib stets da und mir gegenwärtig.
Die vertraute Lebensform als menschliche Person verschränkt Bewusstsein
und Leiblichkeit, wobei die Einheit der Person gerade auch darin begründet
sein dürfte, dass wir nur einen Körper als Leib erfahren und diesen unmit-
telbar für unsere Interaktionen mit der Umwelt zur Verfügung haben.
Im Lichte der bisherigen Überlegungen möchte ich folgende Erträge her-
vorheben, die für die Diskussion der Möglichkeit und Tragfähigkeit des
Mind-Uploading von besonderer Wichtigkeit sind:
̟ Zum einen ist zu betonen, dass unser Selbstverständnis als mensch
liche Personen im Normalfall mit einer Erfahrung der Einheit ein-
hergeht, welche auf einer identifizierenden Bezugnahme auf ver-
gangene Zustände dank der Erinnerung und zukünftige Zustände
dank Antizipation beruht. Der Verlust personaler Einheit, wie er
in Verdoppelungsszenarien ersichtlich wird, überwiegt die mög-
lichen, durch eine solche Situation sich ergebenden Vorteile, weil
dadurch die uns vertraute – und vermutlich für menschliche Per-
sonen auch einzig mögliche – Lebensform unwiederbringlich ver-
loren geht.
̟ Zum anderen wurde deutlich, dass unser Bewusstsein weniger als
passives Medium der Informationsverarbeitung denn als ein aktives
Medium der Deliberation und des Entscheidens aufgefasst werden
sollte. Indem wir überlegen und Entscheidungen treffen, beziehen
wir uns aktiv auf Gründe und eignen uns diese im Laufe eines Ent-
scheidungsprozesses an oder weisen sie als ungenügend zurück.
Solche Aneignungs-, Deliberations- und Entscheidungsprozesse
samt daraus resultierenden Handlungsvollzügen verlangen nach
Die Einheit der Person dürfte auch darin begründet
sein, dass wir nur einen Körper als Leib erfahren.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven