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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
realisierten Medien die erforderliche funktionale Isomorphie vorliegt, gibt
es keinen Grund zu befürchten, dass es auf der Ebene des Bewusstseins zu
„Leistungseinschränkungen“ und substantiellen Veränderungen kommt
(Chalmers 2010, 45).
Die grundlegende Idee besagt also, dass ein Bewusstseinstransfer von
einem biologischen Körper auf ein künstliches Medium prinzipiell mög-
lich ist, wenn die kausale Rolle, die das biologische Original einnimmt, von
der künstlich geschaffenen Hardware – wie auch immer diese dann kon-
kret materiell realisiert ist – übernommen werden kann. Hilary Putnam,
der phasenweise einen solchen funktionalen Ansatz in der Philosophie des
Geistes vertreten hat, verdeutlicht die Sinnspitze dieser These mit dem
Hinweis, dass wir theoretisch sogar aus Schweizer Käse bestehen könnten,
und es würde uns nichts ausmachen (vgl. Putnam 1980, 134). Das Eigen-
leben unseres Bewusstseins hängt an der Komplexität seiner Struktur,
nicht an den jeweiligen materiellen Realisierungen derselben. Die Heraus-
forderung zukünftiger Technologien besteht also darin, ein entsprechen-
des künstliches Medium zu entwickeln, in dem die für unser Bewusstsein
erforderliche funktionale Struktur auch umgesetzt werden kann.
An dieser Stelle lässt sich folgender Zweifel äußern: Angenommen, ent-
scheidend für Bewusstsein ist tatsächlich die funktionale Struktur eines
materiellen Mediums, so kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass
unterschiedliche materielle Realisierungen dieser funktionalen Strukturen
zwar keine funktional-kognitiven Veränderungen, aber spürbare qualita-
tive Unterschiede mit sich bringen. Im Lichte der in der Philosophie des
Geistes gängigen Unterscheidung zwischen dem kognitiven und dem phä-
nomenalen Aspekt des Bewusstseins ließe sich sagen, dass zwar die kog-
nitive Leistungsfähigkeit hinsichtlich Denken, Sprechen oder Entscheiden
konstant bleibt, aber sich die qualitative Einfärbung der jeweiligen kog-
nitiven Zustände gravierend verändert, da es nun mal einen qualitativen
Unterschied mit sich bringt, ob eine Denkaufgabe oder eine Entscheidung
innerhalb eines biologischen Systems oder eines Mediums aus Silizium
vollzogen wird.
Diesen Zweifel bemüht sich David Chalmers mit dem Hinweis zu entkräf-
ten, dass sich die derzeitige biologische Realisierung unserer funktiona-
len Bewusstseinsstruktur laufend durch Stoffwechselprozesse ändert, weil
Macht es einen qualitativen Unterschied, ob eine Entscheidung innerhalb
eines biologischen Systems oder eines Mediums aus Silizium vollzogen wird?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven