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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
per angestrebt, indem zwischen „Körper“ und „Leib“ unterschieden wird.
Ein „Leib“ ist nicht einfach ein Körper, mit dem ich kausal verbunden bin,
sondern ich erfahre den Leib unmittelbar als etwas subjektiv Zugängliches,
der im Wahrnehmen, Empfinden, Denken und Handeln tätig ist und somit
unser „In-der-Welt-Sein“ zum Ausdruck bringt. Stephen Priest verdeut-
licht dies treffend, wenn er schreibt (2000, vii, zitiert in Weir 2018):
„Vielleicht sind wir aber auch unser Körper und schauen aus ihm heraus.
In ebendiesem Körper, und nicht in dem eines anderen, erleben wir Ge-
fühle und Gedanken. Der Rest der Welt scheint um uns herum angeordnet
zu sein, unser Körper in der Mitte.“ (Priest 2000, vii; zitiert nach Weir
2018)
Husserl spricht daher, wie Bernhard Waldenfels betont, vom fungierenden
Leib im Unterschied zum Körperding (vgl. Waldenfels 2000, 42). Ein Kör-
perding ist das, was ich durch eine externe Perspektive im Hinblick auf
physische, psychische oder kausale Merkmale beschreiben kann; der fun-
gierende Leib bezeichnet hingegen unsere verkörperte Existenz, in welcher
wir aktiv auf die Welt bezogen sind und mit ihr interagieren. Der Begriff des
fungierenden Leibs soll unterstreichen, dass geistige Vollzüge und Bewe-
gungsabläufe einander intrinsisch zugeordnet und nicht als zwei getrennte
und kausal einander nachfolgende Tätigkeiten zu verstehen sind. Walden-
fels betont in Anlehnung an Überlegungen von Mer
leau-Ponty:
„Es ist nicht so, daß ich zunächst etwas bemerke, und dann käme als
zweiter Akt das Bewirken, das Tun hinzu, sondern das Merken, das so-
genannte bloße Hinschauen ist selbst schon ein Tun. Hinschauen und Se-
hen bestehen nicht darin, daß bestimmte Reize eintreffen und dann eine
Reaktion auslösen, sondern das Sehen setzt schon voraus, daß ich mich
auf etwas einstelle, daß ich aufmerke und in diesem Sinne tätig werde.“
(Waldenfels 2000, 145)
Ohne auf solche phänomenologischen Beobachtungen im Detail eingehen
zu wollen, weise ich deswegen auf sie hin, weil sie in besonderer Weise ver-
deutlichen wollen, dass die cartesianische Trennung von körperlich-ob-
jektiven und mental-subjektiven Phänomenen eine Abstraktion darstellt.
Ihren Ausgangspunkt nimmt sie aus der mit unserer Existenzweise einher-
gehenden vertrauten Verschränkung von Bewusstsein und Körperlichkeit,
der zufolge mentale und körperliche Bestimmungen nicht als instrumen-
tal, sondern als konstitutiv einander zugeordnet zu verstehen sind. Mit
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven