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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
nicht bezweifelt werden, dass Selbstbewusstsein ebenfalls eine tiefgehen-
de interpersonale Dimension hat. Für unser Selbstbild sind Beziehungen
zu anderen entscheidend, und diese Beziehungen sind nicht auf einer rein
geistigen Ebene angesiedelt, sondern sind das Resultat der Verwobenheit
von mentalen Vollzügen, die sich durch Gestik, Mimik, Sprache und Ver-
halten ausdrücken – kurzum alles Prozesse, die intrinsisch körperlich ver-
fasst sind. Weicht eine nicht-biologisch verfasste Körperlichkeit oder gar
eine vornehmlich digital konstituierte Existenzform von der Art und Weise
des Vollzugs dieser Prozesse maßgeblich ab, so wird sich dies auf entschei-
dende Weise auf unsere sozialen Interaktionsformen auswirken und somit
auch auf unser Selbstverständnis als soziale Lebewesen.
Diese Überlegungen verdeutlichen, dass die Vision des Mind-Uploading die
komplexe Einheit von Bewusstsein, Verkörperung und Einbettung unse-
rer Existenz in eine natürliche und soziale Umwelt unterschätzt. Mind-Up-
loading hat einen äußerst reduzierten Begriff des Bewusstseins im Sinne eines
informationsverarbeitenden und problemlösenden Systems im Blick, bei
dem unsere verkörperte Existenzform als ein notwendiges materielles Me-
dium für die Realisierung von Bewusstsein aufgefasst wird, das kontingen-
terweise biologisch verfasst ist. Die angeführten Argumente sprechen aber
dafür, dass es naheliegend ist, Bewusstsein einerseits als ein biologisches
Phänomen aufzufassen, das sich daher prinzipiell nicht ohne biologische
Grundlagen realisieren lässt, und andererseits als ein auf intrinsische Wei-
se an unsere konkrete Körperlichkeit gebundenes Phänomen. Selbst wenn
daher eine Loslösung des Bewusstseins von seinen bisherigen biologischen
Grundlagen möglich wäre, stellte sich weiterhin die Frage der konkreten
körperlichen Beschaffenheit, die unser bewusstes Leben auf fundamen-
tale Weise mitprägt. Wie im Abschnitt zur personalen Einheit ausgeführt,
zeichnet sich unsere personale Lebensform in der Verschränkung von
Person-Sein im Sinne des Habens eines robusten Bewusstseins und von
Mensch-Sein im Sinne des Habens eines biologisch verfassten Körpers aus.
Wir sind als menschliche Personen beides gleichermaßen – bewusst und
verkörpert. Eine einheitliche Perspektive in Bezug auf uns selbst umfasst
diese Verschränkung unserer Existenz, wobei diese Perspektive nicht die-
jenige eines Systems ist, das sich im Verarbeiten von Informationen aus
Die Vision des Mind-Uploading unterschätzt die komplexe Einheit
von Bewusstsein, Verkörperung und Einbettung unserer Existenz
in eine natürliche und soziale Umwelt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven