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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
kann. In der christlichen Tradition wird der Körper nicht als unfertiger und
dysfunktionaler Aspekt menschlicher Existenz gesehen, die durch entspre-
chende technische Verbesserungsmaßnahmen so zu gestalten ist, dass am
Ende der Körper wie der Schwanz einer Eidechse abgeworfen werden kann,
sondern der grundsätzlich als „gut“ geschaffene ganze Mensch bedarf
einer erlösenden Verwandlung. Diese betrifft Körper und Geist gleicher-
maßen. Es gibt somit einen auffallenden Kontrast zwischen der grundsätz-
lichen Ablehnung des Körpers im Programm des Transhumanismus und
der Annahme der Bedingungen unserer Körperlichkeit, selbst wenn diese
unweigerlich mit Verletzungen, Leid und Tod verknüpft sind.
Schluss
Ich bin am Anfang meines Beitrags davon ausgegangen, dass Sie der aus-
gesprochenen Einladung, die neue Technologie des Mind-Uploading zu be-
nutzen, mit einem gewissen Zweifel begegnen. Dieser Zweifel, so meine
Vermutung, nährt sich von der Annahme, dass Sie nicht genau wissen, ob
Sie es am Ende sind, die nach dem erfolgten Bewusstseinstransfer wieder
aufwachen oder nicht. Die dargelegten Überlegungen haben diese Zwei-
fel nicht entkräftet, sondern bestätigt. Dabei habe ich mich nicht mit den
möglichen Gebrechen einer solchen Technologie beschäftigt, sondern mit
den anthropologischen Vorannahmen, die damit einhergehen.
Ich habe dafür argumentiert, dass etliche, für unsere Existenzform wesent-
liche Aspekte im Mind-Uploading unberücksichtigt bleiben: Dazu zählt zum
einen die naheliegende Annahme, dass Bewusstsein biologischer Grund-
lagen bedarf und daher in einem nicht-biologischen Medium Bewusst-
sein gar nicht ausgebildet werden kann. Ist dies tatsächlich der Fall, dann
wäre Mind-Uploading grundsätzlich nicht möglich. Zum anderen habe ich
auf die intrinsische Verknüpfung von Körperlichkeit und Bewusstsein auf-
merksam gemacht. Diese Verknüpfung zeigt auf, dass bei einem Trans-
fer unseres Bewusstseins auf ein Medium, das grundsätzlich eine andere
Struktur als unser Körper aufweist, mit gravierenden Veränderungen des
Bewusstseins zu rechnen ist. Schließlich habe ich darauf hingewiesen, dass
sich die Funktion unseres Bewusstseins nicht in passiven informationsver-
Etliche, für unsere Existenzform wesentliche Aspekte
würden im Mind-Uploading unberücksichtigt bleiben.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven