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Herbert Hrachovec | Omnipräsenz / Telepräsenz
adäquate Fassung des Körper-Geist-Verhältnisses steht. Harm Goris hebt
die Schlüsselfrage hervor, wie Gott allen Geschöpfen als ihr Schöpfer im-
manent sein und sie gleichzeitig transzendieren kann (Goris 2009). Ross D.
Inman fragt nach dem Ort der Immaterialität, die eine solche Transzendenz
notwendig impliziert (Inman 2017). Die Dreiteilung zwischen noetischen,
psychischen und physischen Phänomenen, die Augustinus von Plotin über-
nimmt, bestimmt den Mainstream der einschlägigen hermeneutischen
und systematischen Arbeiten bis zum heutigen Tag. Als Gegenentwurf wird
angeboten, Gottes Anwesenheit in seiner Tätigkeit (Van den Brom 1984;
Gasser 2019; Arcadi 2017) und/oder seiner personalen Zuwendung (Stump
2013) zu begründen. In diesen Beiträgen steht Gottes kommunikatives Ver-
halten im Vordergrund. Allgegenwart wird als intersubjektives Phänomen
gesehen. Die Anstrengung, es in der Weltordnung zu lokalisieren, entfällt,
wogegen der appellative Charakter der biblischen Aussagen (wieder) in den
Vordergrund tritt.
Die konzeptuelle Rafinesse dieser Publikationen ist hier nicht weiter zu ver-
folgen. Im Rahmen dieses Beitrags wird die Kernfrage auf ein prominentes
Beispiel körperlicher Unkörperlichkeit zugespitzt, nämlich das Auge Got-
tes. In diesem Symbol weltumspannender Transzendenz ist die angespro-
chene Polysemantik komprimiert. Dieses Auge darf man sich, das ist der
erste Schritt, nicht wie das menschliche Organ vorstellen. Und dennoch,
so wird ergänzt, bezeichnet es einen Modus des Sehens. Wie immer Gott
beschaffen ist, er benötigt ein „Organ“, um menschliche Körper auf dem
Planeten wahrzunehmen. Sein „Auge“ steht für die Omnipräsenz, die aus
seiner Wesensbestimmung als Schöpfer aller Sichtbarkeiten folgt. Dieses
„Schaubild“ synthetisiert Sichtbares und das Prinzip des Sehens. Es setzt
philosophisch geformte Glaubenswahrheiten in eine griffige Symbolik um.
Das ist ein Erfolgsrezept und zugleich ein wunder Punkt. Als einprägsames
Motiv hatte es nachhaltige Wirkungen im religiösen Leben, genau durch
seine theorielose Suggestivität konnte es aber andererseits zur Telepräsenz
„umgewidmet“ werden. Dieser Seitenwechsel wird im nächsten Abschnitt
betrachtet. Zuvor noch eine kurze Erinnerung an die Rolle des Symbols in
der Glaubenspraxis.
Gottes Auge, das auf den Menschen ruht, ist ein wiederkehrendes Bild im
Alten Testament und hat im abendländischen Christentum weite Verbrei-
tung gefunden (Der Liebesbrief [o. J.]; Mertin 2016; Furrer 2005). Gläu-
Das Auge Gottes als Beispiel körperlicher Unkörperlichkeit
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven