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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
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116 | www.limina-graz.eu Christian Wessely | Wie spricht ein Geist zum anderen Geist? traut unwillkürlich primär auf „das Gute“, und zwar in der überwiegenden Mehrzahl der Interaktionen des Alltags (von pathologischen Ausnahmen14 einmal abgesehen). Mit dem Vertrauen ist nun die Wahrheitsfrage eng verbunden. Das ver- trauende Subjekt braucht einen Grundbegriff von Wahrhaftigkeit, der un- mittelbar einleuchtend und lebenspraktisch verbindlich ist. Auch wenn die Wahrheitsbegriffe im wissenschaftstheoretischen Kontext vielfältig sind, wird hier zunächst und wohl als einzige befriedigende Alternative ein kor- respondenztheoretischer Ansatz sinngerecht eingesetzt werden können. Es geht schließlich im Kontext des Vertrauens um eine entscheidende Vo- raussetzung, dass nämlich das vertrauende Subjekt in der situativen Ge- gebenheit eines Entscheidungsmoments die existenzielle Überzeugung gewinnen muss, dass die tatsächliche Handlung dessen, dem sie vertraut, so-und-nicht-anders sein wird, dass also „Ankündigung“ (explizit in der Situation oder implizit durch das, was Luhmann [2014, 37] als „Kredit“ be- zeichnet) und „Ausführung“ korrespondieren.15 Wenn Vertrauen enttäuscht wird (besser: wenn sich das vertrauende Sub- jekt über die Wahrheit getäuscht sieht), entsteht daraus ein Schaden. Der Vertrauensverlust ist in der Regel schwer bezifferbar, wenn er auf der In- dividualebene betrachtet wird. Dennoch kann er so kritisch werden, dass er sogar im Rechtssystem Beachtung findet.16 Unzweifelhaft ist auch Kre- ditschädigung für ein Unternehmen oder eine Institution ein Angriff, der existenziell bedrohlich werden kann.17 Nun herrscht im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung, insbeson- dere wenn sie – wie es unvermeidlich ist – mit den Ansätzen von Künstli- cher Intelligenz (KI) verbunden wird, ein Vertrauensverhältnis nicht mehr zwischen Subjekten, sondern zwischen Subjekt und Objekt.18 Hier greift das o. a. „Systemvertrauen“ nicht mehr: Die Funktion eines Rechtssys- tems etwa, auf das die konkrete Person vertraut, wird noch durch konkrete Personen abgesichert und ggf. im Einzelfall korrigiert (man denke an den Ermessensspielraum von Richterinnen und Richtern). Das autonome Ob- jekt handelt aber in einer Eigenverantwortung, zwar auf einer „eingepräg- ten“ Entscheidungsbasis, aber maßgeblich aufgrund eigener und fremder „Lernvorgänge“19 und situativ-konkreter Gegebenheiten.20 Dieses Objekt hält, und hier greife ich zu einer gefährlichen Analogie, Sach- verhalte für wahr („die Rückmeldung der Sensoren entspricht den tatsäch- lichen Gegebenheiten in der Umgebung“), ohne aber über entsprechende reflexive Fähigkeiten zu verfügen. – Der Begriff eines „Ich“ als philo- sophische Ausgangsbasis der subjektiven Welterkenntnis des Menschen 14 Viktor Frankl definiert den Man- gel an Vertrauen als wesentliche Ursache für Zwangsneurosen (vgl. Frankl 2007, 199). 15 Hier wird unmittelbar einsichtig, dass ein antirealistischer Wahr- heitsbegriff nicht weiterhilft. Da das Vertrauen ein jeweils subjektiver Akt ist, kann ein (scheinbar) objektivie- render Prozess kaum zur Klärung der Wahrheitsproblematik beitragen. 16 Wer das Vertrauen in eine Person schädigt, der kann sogar strafrecht- lich verfolgt werden. So §152 StGB: „Wer unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen eines anderen schädigt oder ge- fährdet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“ 17 Diese Formen werden allerdings nicht unter §152 StGB abgehandelt. Zu denken ist hier an die systemati- sche Diffamierung einer Firma, aber auch an die des Rechtsstaates z. B. durch die sog. „Staatsverweigerer“. 18 „Ansätze“ von KI, weil zwar im Bereich der schwachen KI respektab- le Fortschritte gemacht wurden (so können Fahrzeuge bereits erstaun- lich weitgehend autonom agieren), aber ein Erreichen des eigentlichen Zieles (die umfassend interaktive und mit kreativem Planungspoten- tial agierende KI) noch nicht greifbar ist; von einer in Reichweite stehen- den starken KI kann noch keine Rede sein, und sie ist möglicherweise auch völlig unerreichbar. Zur Unterschei- dung zwischen starker und schwa- cher KI vgl. Russell et al. 2016. 19 Ausschließlich eine vernetzte KI kann eine sinnvolle KI sein. 20 Für die folgenden Beispielfor- mulierungen wird auf die auf großes öffentliches Interesse stoßende Entwicklung autonomer Fahrzeuge zurückgegriffen. Zu diesen und den Autonomielevels 0-5 vgl. SAE Foun- dation 2018.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
3:2
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
270
Kategorien
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