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Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
menzufassen. Als Gründe für die Ablehnung des Schweins (vgl. Hieke 2014,
419–421) werden u. a. hygienische Gründe genannt (Schweine übertragen
Krankheiten, wühlen im Dreck, fressen Unrat und auch Aas etc.), aber auch
seine Verwendung als Opfertier bei chthonischen paganen Riten (allerdings
seine Nichtverwendung schon bei Assyrern und Ägyptern) oder seine Ver-
bindung mit dem Krankheitsdämon Lamaschtu im Alten Orient. In jedem
Fall ist das Schwein zum Symbol des Unreinen schlechthin geworden.
Dem Schwein stehen die domestizierten Haustiere Rind, Schaf und Ziege als
erlaubt gegenüber. Ihre Produkte sind koscher. Allerdings dürfen milchige
Speisen – in den meisten Fällen ist damit Käse gemeint – im observanten
Judentum nicht gemeinsam mit Fleischspeisen verzehrt werden. Diese Be-
stimmung geht auf das schon erwähnte dreimal in der Bibel genannte Ver-
bot, das Zicklein in der Milch der Mutter zu kochen, zurück (vgl. Ex 23,19;
34,26; Dtn 14,21). Es findet seine Begründung sehr wahrscheinlich in der
antiken Rücksichtnahme auf die enge Verbindung von Mutter und Kind als
Ausdruck der Lebensenergie. Othmar Keel drückte es einmal so aus:
„Ob man im säugenden Muttertier direkt die Erscheinungsgestalt einer
Gottheit oder nur eine Manifestation göttlichen Segens gesehen hat, je-
denfalls war es eine Gestalt, die in besonderem Masse das Gewahrwer-
den göttlicher Lebensmacht und Lebenslust erlaubte und gleichsam den
Blick auf die freudige Zärtlichkeit und Liebe freigab, die den Fluss des
Lebens in Gang hält.“ (Keel 1980, 142)
In jüdischer Tradition werden dazu mehrere Gründe angegeben. Eine Be-
gründung bietet etwa der Kommentar Bachja ben Aschers (1255–1340) aus
der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert zu Ex 23,19:
„Dem Peschat (Wortsinn) entsprechend ist der Grund für diese Weisung
(Mitzwa), da Blut das Herz füllt, dass die Milch vom Blut stammt und das
Blut das Böse herausbringt und zur Grausamkeit verleitet.“5
Mit anderen Worten liegt der Grund des Verbots seiner Meinung nach im
negativen Einfluss des Blutes auf den Charakter des Menschen. Maimoni-
des (1135–1204) hingegen führte das Verbot auf einen paganen Brauch zu-
rück, den die Juden nicht übernehmen sollten (Führer der Verwirrten III, 48).
Genauso wie bei Obadja ben Jakob Sforno im 16. Jahrhundert (Kommentar
Das Verbot, das Zicklein in der Milch der Mutter zu kochen
5 Alle hebräischen oder aramäi-
schen Originaltexte wurden – so-
fern nicht anders angegeben – von
mir selbst übersetzt. Datenbanken
für Originaltexte sind das Bar Ilan
Responsa Project (https://www.
responsa.co.il), Ma’agarim (für
Handschriften; https://maagarim.
hebrew-academy.org.il/Pages/
PMain.aspx) bzw. findet sich auch
auf Sefaria (https://www.sefaria.
org/) reichhaltiges Material.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven