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Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
(wie in Pesachim 49b) konnte diese Diskrepanz so weit gehen, dass man den
Ungebildeten überhaupt keinen Fleischgenuss zubilligen wollte.
Auch heute ist die Debatte um strengen bzw. eher lockeren Umgang mit
den Speisegeboten virulent. Koschere Läden und Restaurants werden in der
Regel streng von rabbinischen Aufsichtsorganen überwacht. Die genaue
Kenntnis der Kaschrut wird heute in eigenen Ausbildungen vermittelt. Ein
solcher „Koscheraufseher“ heißt auf Hebräisch Maschgiach. In der Schweiz
wird beispielsweise gerade in Basel von Rabbiner Mosche Baumel, einem
Absolventen des Wiener Judaistikinstituts, ein „Institut für angewandte
Kaschrut“ auf die Beine gestellt.
7 Abgrenzung nach außen
Der identitätsstiftende Aspekt der Speisegebote wird bereits in der Bibel
betont und von den Rabbinen noch verstärkt. So deutet zum Beispiel der
religionsgesetzliche Midrasch Sifra (Qedoschim Pereq 11.21–22) Lev 20 fol-
gendermaßen aus:
„‚Seid mir geheiligt; denn ich, der HERR, bin heilig [und ich habe euch
von all diesen Völkern unterschieden, damit ihr mir gehört]‘ (Lev 20,26):
Wie ich heilig bin, so sollt ihr auch heilig sein. Wie ich mich unterschei-
de, so sollt ihr euch auch unterscheiden. ‚Ich habe euch von all diesen
Völkern unterschieden, damit ihr mir gehört‘. Wenn ihr euch von den
Völkern abgrenzt, dann gehört ihr mir (wörtlich: zu meinem Namen).
Und wenn nicht, dann gehört ihr zu Nebukadnezzar, dem König von Ba-
bylonien, und seinem Gefolge. Rabbi Elazar ben Azaria sagt: Woher (aus
der Bibel wissen wir), dass ein Mensch nicht sagen soll: Es ist für mich
unmöglich, Mischgewebe zu tragen oder Schweinefleisch zu essen; es ist
für mich unmöglich, sexuelle Beziehungen mit verbotenen Personen zu
haben, sondern (es heißen muss): Es ist mir möglich, aber was kann ich
tun, da mein Vater im Himmel es über mich bestimmt hat? Deshalb sagt
die Schrift: ‚und ich habe euch von all diesen Völkern unterschieden, da-
mit ihr mir gehört‘ – das bedeutet: sich von der Übertretung fernhalten
und das Königreich des Himmels annehmen.“
Heiligkeit, vor allem die Heiligkeit Gottes, drückt Unterscheidung und da-
mit auch Abgrenzung aus. Die dazu gehörenden Begriffe sind parasch und
badal / hivdil. Israel soll diese Unterscheidung teilen, damit an der Beson-
derheit Gottes teilhaben. Dies geschieht, indem es sich von den Sitten und
Lebensweisen der Völker distanziert. Wenn dabei Nebukadnezzar genannt
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven