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Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
halter des Kaisers, der die Diebe tötete und die Ehebrecher und die Zau-
berer, und der zu seinem Kanzler sagte: Diese drei (Verbrechen) habe ich
selbst in einer Nacht begangen.“
Hier ist die Polemik mit Händen zu greifen. Babylonien, das Land, das die
Exilierung vieler Judäer zu verantworten hat, worauf der bekannte Ps 137
verweist („An den Ufern von Babylon …“) ist tief im kollektiven Gedächt-
nis verankert. Aktueller aber ist die Auseinandersetzung mit Rom, das zur
Zeit der Abfassung des Midrasch schon christlich dominiert ist. Rom wird
mit einem Schwein verglichen, das seine Hufe wegstreckt und damit sagen
will, „Ich bin rein“, aber in Wirklichkeit raubt und plündert. Es gibt nur vor,
ein gerechtes Gericht zu halten, aber die Richter sind korrupt und – mehr
noch – begehen selbst Verbrechen (vgl. auch Genesis Rabba 65.1 und Psal-
menmidrasch 80.6). Die Gleichsetzung von Reinheit mit Gerechtigkeit ist im
Ăśbrigen an dieser Stelle bemerkenswert.
Das Schwein wird zum Inbegriff des Unreinen und Falschen (vgl. die Bei-
spiele bei Rosenblum 2010). Häufig wird dabei der Bruder Jakobs, Esau, mit
Rom identifiziert und mit dem Schwein in Verbindung gebracht und im Mi-
drasch Genesis Rabba 63.8 sogar explizit als Schwein bezeichnet. Im selben
Abschnitt wird dort vom römischen Kaiser Diokletian behauptet, dass er
ursprünglich ein Schweinehirte in der Nähe von Tiberias gewesen sei. Für
diese Anschuldigung will er sich später bitter rächen, aber die bedrohten
Juden werden wundersam gerettet.
Abgrenzung geschieht zur Identitätswahrung. Dies gilt auch dort, wo die
historische Praxis durchaus Durchlässigkeit und Anpassungswillen (nicht
nur Anpassungsdruck) erkennen lässt. Die Unterscheidung zwischen
strengen und laxen Praktiken begegnet im Mittelalter und der frĂĽhen Neu-
zeit mehrfach, nicht zuletzt in Bezug auf verbotene Mischungen und den
bereits erwähnten zeitlichen Abstand zwischen dem Genuss von fleisch-
licher und milchiger Nahrung. Kraemer (2007, 94–97) schildert z. B., dass
im 16. Jahrhundert in Polen unter König Sigismund / Zygmunt II. August
enge Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden herrschten. Darauf reagier-
ten nun die jĂĽdischen Gelehrten, in dem sie die Einhaltung strenger Speise-
vorschriften als Zeichen der Toratreue betonten und sich von denen ab-
grenzen wollten, die sich so weit als möglich in die polnische Gesellschaft
zu integrieren versuchten.
Gleichsetzung von Reinheit mit Gerechtigkeit
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven