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Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
schen Traktat Derech Eretz Zuta 7.3–5 wird beispielsweise ein Toragelehrter
so beschrieben:
„Ein Toragelehrter (talmid chakham) muss tzanua sein in Bezug auf
sein (Verhalten beim) Essen, Trinken, Baden, Salben, das Tragen der
Schuhe, beim Geschlechtsverkehr, bei seinem Gehen, in seiner Kleidung,
seinem Sprechen, seinem Ausspucken und in seinen guten Werken.“
Das heißt, sein ganzes Verhalten soll geprägt sein von einer Haltung, die
der Besonderheit des Lebens eines Juden vor Gott entspricht.
Für den antiken Menschen sind Ethos und praktischer Religionsvollzug wie
etwa die Speisegebote nicht zu trennen. Erst in der Neuzeit wird im Zuge
der Aufklärung und vor allem im liberalen Judentum zwischen den zeitlos
gültigen ethischen Weisungen und den als nicht mehr aktuell erachteten
biblisch-rabbinischen Vorschriften wie den Speisegeboten unterschieden.
11 Fazit
Regeln, die Essen und Trinken betreffen, sind ein zentraler Bestandteil
jüdischer Kultur und religiöser Überzeugung. Sie fußen einerseits auf bi-
blischen Vorschriften, werden aber beständig weiterentwickelt und disku-
tiert. Dieser Beitrag konzentrierte sich auf die Funktion der Speisegebote
als Identitätsmarker. Denn neben auch in der Tradition vorhandenen ethi-
schen und gesundheitlichen Erwägungen ist die Vorstellung zentral, dass
mit den Speisegesetzen eine Zuordnung zum sich Mose und dem Volk Is-
rael vermittelnden Gott gegeben ist, eine Anerkennung seines Willens. Die-
se bedingt Abgrenzungen nach außen – gegenüber den Nichtjuden – und
nach innen – vor allem gegen Ungebildete und, nach Ansicht der sich als
fromm Verstehenden, in religiöser Hinsicht nachlässigere Menschen. Auch
in der Auseinandersetzung zwischen liberalen und orthodoxen Kreisen
spielt(e) die Einhaltung von Speisegeboten eine entscheidende Rolle.
In ihrer metaphorischen Bedeutung sind Essen und Trinken vielfach aus-
gelegte Bilder für das Studium der Tora oder die Vereinigung von Partnern.
Letztlich gehört beides zusammen, denn die menschliche Liebe spiegelt
Ein Zusammenklang von religiöser Überzeugung, Ethos,
engagiertem Sozialverhalten und richtiger Ernährung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven